Impuls zum Placidajahr von Sr. Julia Maria Handke
Wenn ich an die Selige Schwester Placida Viel denke, lasse ich mich oft von dem Wort „Selig“ blenden. Da verklärt mir dieses Wort den Menschen selbst. Denn es scheint mir oft so, als sei den „Seligen“ alles gelungen und als seien sie zielstrebig, furchtlos, selbstbewusst und mutig durchs Leben gegangen. Dann denke ich auch voller Ehrfurcht an all das, was Schwester Placida (übrigens vor fast genau 65 Jahren – am 6. Mai 1951 – selig gesprochen) in ihrem Leben gewirkt und erreicht hat: Sie war die zweite Generaloberin unserer Gemeinschaft. Sie war jahrelang unterwegs, um Geld für den Aufbau der Abtei in Saint-Sauveur-le-Vicomte zu sammeln, damals eine strapaziöse und gefährliche Angelegenheit; selbst vor Königen hat sie gestanden. Sie hat die französische Grenze überschritten und die erste deutsche Niederlassung in Heiligenstadt gegründet.
Fast macht es mir Angst. Und mit Blick auf mein eigenes Leben setzt es mich auch ein bisschen unter Druck. Was bin ich dagegen? Was habe ich erreicht? Ich bin doch nur ein „einfacher“ Mensch…
Dann schaue ich genauer hin.
Es ist überliefert, dass Schwester Placida eine schüchterne junge Schwester war, die als Novizin so extrem furchtsam gewesen ist, dass sie nicht allein die Straße überqueren mochte. Diese schüchterne junge Frau erhielt von der Generaloberin, Mutter Maria Magdalena, den Auftrag, loszuziehen, um für den Wiederaufbau des gerade eingestürzten Kirchturmes der Abtei Geld zu sammeln.
So zog die schüchterne junge Schwester ängstlich los… und kam nicht weit. Bereits am Klostertor machte sie Halt und kehrte um. Nach einigen Schritten fehlte ihr bereits der Mut und sie gab auf.
Mutter Maria Magdalena sah sie umkehren und sagte zu der Weinenden „Nun, meine Tochter, Ihre Reise war kurz! Ist das Ihr Glaube?“ Sie riet ihr, eine halbe Stunde betend vor dem Tabernakel zu verbringen. Das tat Schwester Placida. Bestimmt brachte sie ihre ganze Angst und Mutlosigkeit vor Gott.
Dann brach Schwester Placida erneut auf und ging ohne Zögern los. Gestärkt und voll Vertrauen.
Mit dem Vertrauen ihrer Generaloberin „im Rücken“ und dem Bewusstsein, dass Gott an ihrer Seite ist, konnte sie losgehen. Sicherlich hat der beschwerliche Weg, der ihr zugemutet, aber auch zugetraut wurde, sie gelehrt, sich nicht auf die eigenen Kräfte zu verlassen, sondern auf Gott zu vertrauen und von ganzem Herzen zu sagen: GOTT SORGT.
Das unerschütterliche Gottvertrauen musste auch sie erst lernen. Es waren nicht ihre eigenen herausragenden Fähigkeiten, die sie all das erreichen ließen, sondern es war ihr Gottvertrauen.
Für mich tröstlich. Auch Schwester Placida war „nur“ ein einfacher Mensch – eine Frau mit Stärken, aber auch Schwächen, wie jeder von uns sie hat. Sie war von sich aus nicht besonders mutig. Aber sie zeichnete etwas ganz Besonderes aus, das sie „groß“ gemacht hat: ihr Gottvertrauen. Und sie hatte jemanden, der ihre Fähigkeiten erkannte, sie ermutigt hat, hinter ihr stand, der an sie glaubte. Dies gab ihr die Kraft zu allem, was sie erreicht hat.
Mir sagt es: Ich muss nicht die Taten vollbringen, die Schwester Placida vollbracht hat. Alles, was ich tun muss, ist: Immer mehr lernen, dieses Gottvertrauen zu haben, wie sie es hatte.
Jeder von uns hat im Leben kürzere oder längere Phasen, in denen uns der Mut verlässt, in denen wir nicht weiter wissen, wir selber keine Antwort haben, in denen wir uns verloren fühlen, das Vertrauen in uns selbst und in Gott verloren haben. Hier müssen wir immer wieder lernen, uns nicht nur auf uns selbst zu verlassen, sondern auf Gott zu vertrauen, unsere Hoffnung auf IHN zu setzen, und uns Hilfe von ihm erbeten; darauf vertrauen und daraus Kraft holen, dass GOTT SORGT. Da ist es ein Geschenk, wenn wir Menschen haben, die uns dabei helfen. Menschen, die uns Mut zusprechen, die uns etwas zutrauen, uns ermutigen „loszugehen“ – und die unseren Blick wieder auf Gott lenken und uns daran erinnern, dass ER da ist und wir mit unseren Ängsten, unserer Verzagtheit und Orientierungslosigkeit zu ihm gehen können. Er ist immer da und sorgt. Wenn wir dann den Mut haben, loszugehen, können wir darauf vertrauen, dass wir auch die Stärke und die Antworten finden, die wir suchen und brauchen, denn Gott sorgt für uns.
Und wenn Gott für mich sorgt, wenn er mir etwas zutraut, dann kann auch ich es wagen, an mich zu glauben und meinen Weg zu gehen.
So überschritt Schwester Placida nicht nur die Grenzen von Frankreich, sondern auch ihre inneren Grenzen.
Das wünsche ich uns allen: Dass wir auf Gottes Hilfe und Schutz vertrauen und dass uns Menschen ermutigen und an uns glauben, damit wir „unsere“ Aufgaben im Leben wagen können.
Stichwort Placida-Jahr:
Die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel gedenken von September 2015 bis September 2016 der Gründerin ihrer deutschen Kongregation, Schwester Placida Viel. Schwester Placida war die zweite Generaloberin der französischen Gemeinschaft und kleidete 1862 vier Lehrerinnen in Heiligenstadt ein. Seit 1920 ist der daraus entstandene deutsche Ordenszweig eigenständig. Schwester Placida wurde als Victoria Viel am 26. September 1815 – also vor 200 Jahren – geboren.