Impuls zum Placidajahr von Sr. Theresia Lehmeier
Trockene Äste an kahlen Bäumen, eisiger Wind, der bis auf die Knochen dringt, leere Felder zwischen matschigen Wegen… nein, trotz der vereinzelten Primeln, die Hoffnung auf Frühling machen, ist der Winter noch nicht vorbei. Wir sind mit einer Pilgergruppe unterwegs auf den Spuren unserer Ordensgründerinnen. Im warmen Bus ist es leicht, Wind und Kälte zu trotzen und den Blick auf die ersten Frühlingsboten zu richten.
Ich stelle mir vor, wie Placida Viel an einem unwirtlichen Tag im Januar 1844 von der Abtei aufbricht, um Geld für den Wiederaufbau der Abteikirche zu sammeln, deren restaurierter Glockenturm ein Jahr zuvor wieder eingestürzt ist. Kein leichter Weg für die schüchterne Normannin aus dem verlassenen Weiler Le Val Vacher bei Quettehou.
Nicht nur wegen der schlammigen Wege und des durchdringenden Windes im Winter oder der sengenden Sonne im Sommer, sondern vor allem, weil es schwer ist, die eigene Schüchternheit zu überwinden und sich in die Welt der Großen und Mächtigen zu begeben, um Bittstellerin zu sein.
Und dazu noch diese Einsamkeit auf den langen und beschwerlichen Wegen und die Angst vor Wegelagerern.
Und dennoch bezwingt die junge Frau ihre Scheu und macht sich auf den Weg. Mit ihrer entwaffnenden Art, die nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern die größere Sache, für die sie unterwegs ist, schafft sie es, die Menschen zu gewinnen, so dass sich ihr Herzen öffnen und damit auch die Portemonnaies. Sie hat Erfolg, weil sie glaubwürdig ist, weil sie es schafft, zu vermitteln, dass es ihr nicht um die eigene Person geht, sondern um eine Heimat für die Schwestern, eine Basis für das Wirken für die Menschen.
Sicherlich hat auch sie die ersten Zeichen des Frühlings wahrgenommen, die Primeln, die an den Wegrändern blühen und dem noch rauen Sturm trotzen, und Hoffnung geschöpft aus den ersten Boten des neuen Lebens, das sich nach einer langen Zeit des Winters zeigt.
Ich denke daran, dass der Weg unserer Gemeinschaft immer ein Weg war, der durch schwere Zeiten geführt hat, ein Weg durch Höhen und Tiefen. Immer aber hat es Menschen gegeben, die aufmerksam waren für die Zeichen der Hoffnung, die sich nicht haben unterkriegen lassen von Angst und Verzweiflung, sondern mit Vertrauen auf Gott immer wieder neue Aufbrüche gewagt haben und Wege gegangen sind, die ungewöhnlich waren.
Wir leben wieder einmal in einer bewegten Zeit. Wir haben viele Fragen: Was ist heute dran für uns? Wohin müssen wir aufbrechen? Was gibt uns Hoffnung und Zuversicht? Probleme gibt es genug, einfache Lösungen sind nicht in Sicht.
Wir feiern Ostern, Fest der Auferstehung Jesu Christi, Feier des neuen Lebens nach der Dunkelheit des Todes.
Ich möchte mich mitnehmen lassen von der Freude darüber, dass es immer wieder Lebensspuren gibt, möchte die Primeln am Wegrand sehen, die dem Wind trotzen, und daran glauben, dass Leben aus dürren Ästen hervorsprießt und Hoffnung und Leben aus dem Tod erwächst.
Stichwort Placida-Jahr:
Die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel gedenken von September 2015 bis September 2016 der Gründerin ihrer deutschen Kongregation, Schwester Placida Viel. Schwester Placida war die zweite Generaloberin der französischen Gemeinschaft und kleidete 1862 vier Lehrerinnen in Heiligenstadt ein. Seit 1920 ist der daraus entstandene deutsche Ordenszweig eigenständig. Schwester Placida wurde als Victoria Viel am 26. September 1815 – also vor 200 Jahren – geboren.