Die Ordensgemeinschaft feiert ihre 100-jährige Präsenz in Bolivien – die Anfänge waren abenteuerlich
Vor 100 Jahren kamen die ersten Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel nach Bolivien. Gerufen kurz vor Weihnachten 1923 von einem deutschen Pater in La Paz, der Lehrkräfte für seine Schulen suchte, erreichten sie das Land nach abenteuerlicher Reise fast zwölf Monate später. Dort war man enttäuscht darüber, dass sie kein Spanisch sprachen. Also mussten sich die Ordensfrauen selbst Aufgaben suchen. Heute betreuen und unterrichten die Schwestern in ihren bolivianischen Einrichtungen über 5000 Kinder und Jugendliche. Diese Erfolgsgeschichte wird an diesem Wochenende in Cochabamba gefeiert.
Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow, Generalassistentin Schwester Margareta Kühn, Generalsekretärin Schwester Theresia Lehmeier und der Geschäftsführer der Bergkloster Stiftung SMMP, Christian Uhl, sind seit einer Woche in dem südamerikanischen Land, das derzeit wieder durch politische Unruhen erschüttert ist. Umso wichtiger ist dort für viele Familien die Verlässlichkeit und Kontinuität der Ordensgemeinschaft.
„Das ist einer der vielen spannenden Aufbrüche, die unsere Ordensgemeinschaft gewagt hat. Im Geiste und im Gottvertrauen unserer Gründerin, der heiligen Maria Magdalena Postel“, blickt Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow mit großem Respekt auf die spannende Entwicklung ihrer Gemeinschaft in Bolivien.
Die Chronik der Ausreise der ersten Missionarinnen aus Deutschland und die Anfänge in Südamerika sind in der Ordenschronik gut dokumentiert. Schwester Aegidia Hartmann, die zu dem ersten Quartett gehörte, das die 10.000 Kilometer lange Reise auf sich nahm, hat ausführlich Tagebuch geführt.
Pater schrieb an die „ehrwürdige Mutter“ Schwester Pia Maria Hupe
Der Redemptoristenpater Sieffert, später Bischof von La Paz, schrieb Ende 1923 an die „ehrwürdige Mutter“ Schwester Pia Maria Hupe: „Ich kann Ihnen die Ausbreitung Ihrer Kongregation im Sinne der Mission nicht genügend ans Herz legen; die Hingebung an das Werk der Mission wird den Segen Gottes für Sie und für alle bringen. Bolivien als erste Mission ist eine prächtige Wahl, hier gibt es viel zu schaffen. Senden Sie mir doch möglichst bald einige Schwestern.“
Pater Sieffert hatte die Ordenskongregation in Metz kennengelernt, wo während des Kulturkampfes bis in die 1920er Jahre auch viele deutsche Schwestern tätig waren und unterrichteten. In Deutschland war ihnen das damals nicht mehr möglich.
In der Chronik der Ordensgemeinschaft heißt es: „Die würdige Mutter las den Brief des hochwürdigen Herrn Paters bei der Weihnachtsfeier vor und forderte die Schwestern auf, zu eifrigem Gebete um die Erkenntnis des Willen Gottes und die richtige Auswahl der ersten Missionarinnen. Nach einigen Wochen erhielt der hochwürdige Herr Pater die Antwort, er möge die nötigen Vorbereitungen treffen.“
Die erste, die sich für diese Aufgabe meldete, war Schwester Aegidia Hartmann. Im Laufe der nächsten Monate erklärten sich drei weitere Schwestern bereit, Europa zu verlassen – ohne eine Perspektive auf ein Wiedersehen. „Ein solcher Abschied bedeutete damals einen Abschied für immer“, betont Schwester Theresia Lehmeier. Die Generalsekretärin betreut das Archiv der Ordenskongregation im Bergkloster Bestwig und ist zugleich Länderbeauftragte ihrer Gemeinschaft für Bolivien. Dass es einige Jahrzehnte später doch möglich sein würde, den Ozean schneller zu überbrücken und zu Heimaturlauben in die alte Heimat zu kommen, war 1924 noch nicht vorstellbar.
Gewinkt, bis das Zügele die Schranken durchfuhr
Am 13. November 1924 machte sich Schwester Maria Aegidia schließlich mit ihren drei Mitschwestern Maria Memhoff, Tabitha Pinnekamp und Maria Hieronyma Voßwinkel von Heilbad Heiligenstadt aus auf die Reise. Im Aussendungsgottesdienst hatte der Pfarrer die Missionarinnen mit dem Wort ermutigt, das Gott Mose mit auf dem Weg ins gelobte Land gegeben hatte: „Zieh in das Land, das ich dir zeigen werde!“
Entsprechend freudig wurden die Schwestern verabschiedet. „Schwestern, Schülerinnen und viele Bekannte gaben den tapferen Reisenden das Geleit zum Bahnhof. Die große, stattliche Menge der Klosterjugend, (…) fast 100 an der Zahl, Novizinnen und Postulantinnen insgesamt, waren auf das Dach des Turmhauses gestiegen. Von dort aus reichte die Sicht bis zum Bahnhofsgebäude. Es gab Winken von oben nach unten, von hüben nach drüben, bis das Zügele die Schranken durchfuhr“, heißt es in der Chronik.
Die Fahrt ging nach Bremerhaven. Von dort aus schifften die vier Schwestern mit dem Dampfer „Köln“ aus. Die Generaloberin Schwester Pia hatte es sich nicht nehmen lassen, „die vier mutigen Töchter auf das Schiff zu begleiten.“ Weiter heißt es in der Chronik: „Die Schiffskapelle spielte das Lied ‚Nun ade du mein Heimatland‘. Von der Landungsbrücke aus winkten die Zurückgebliebenen den Scheidenden die letzten Grüße zu.“
Gut einen Monat später, am 12. Dezember 2024, legte die „Köln“ in Buenos Aires an, wo die vier deutschen Missionarinnen zunächst bei Steyler Schwestern Aufnahme fanden und vier Ruhetage einlegten. Mit der Bahn ging es weiter in Richtung Bolivien. Doch vor der Grenze hatte es einen kilometerlangen Bergrutsch gegeben. Die Gleise waren unter Geröll begraben. Schwester Aegidia hält in ihrem Tagebuch fest: „Wir krochen also weiter (…). Hier mussten wir nämlich durch einen Stacheldraht. Zum ersten Mal kam ich mit einem Stacheldraht in Berührung. Da ging es mir durch den Kopf: durch einen Stacheldraht müssen wir also, um in das Land zu kommen, das man uns zeigen wird.“
Auf Mauleseln geritten und zwischen Flöhen übernachtet
Maulesel trugen die Schwestern durch ein Flussbett: „Es war ein Geholper und Gestolper Dann fielen die Tiere auf die Knie. Wir mit. In dieser Situation sangen wir: ‚Oh du Fröhliche, oh Du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit.“ Schließlich übernachteten die Schwestern in den einfachen Hütten von „Indianern“. Sie machten Bekanntschaft mit Flöhen und Wanzen.
Nach fünf Tagen erreichten sie wieder die Bahngleise, über die sie nach La Paz weiterreisen konnten. Am 29. Dezember kamen sie mittags um zwei Uhr an. Die deutschen Schwestern sprachen kein Spanisch. Als sie vom Vertreter des Apostolischen Nuntius und einem Vertreter der Regierung empfangen wurden, herrschte Schweigen: „Wir sprachen kein Wort. Wir standen wie die Ochsen vom Berge, wir konnten nur eine Verbeugung machen. Alle waren enttäuscht über uns.“
Und wo waren die Schulen, an denen sie unterrichten sollten? Am 1. Januar meldete sich ein deutscher Auswanderer bei den Schwestern und erklärte: „Was hören wir da, es seien deutsche Schwestern nach Bolivien gekommen? Davon haben wir gar nichts gewusst.“ Er hatte drei Kinder zwischen fünf und acht Jahren und fragte, ob sie den dreien wohl Deutsch beibringen würden. Das war der erste Unterrichts-Auftrag in Bolivien.
Schon wenige Tage später meldete sich der Direktor einer deutschen Schule: „Da habe ich doch unterwegs gehört, es seien deutsche Schwestern nach Bolivien gekommen. Sagen Sie mal, sind denn wohl auch Lehrerinnen unter Ihnen? Die fehlen mir.“
Heute fast 5000 Schülerinnen und Schüler
Wieviel tausend Kinder und Jugendliche seitdem durch die Klassen und Schulen der Schwestern gegangen sind, lässt sich inzwischen nicht mehr hochrechnen. Heute sind es in Oruro, La Paz und Cochabamba fast 5200. Außerdem geben die Schwestern 140 jungen Mädchen, die aus schwierigen familiären Verhältnissen kommen oder keine Eltern mehr haben, in zwei Kinderdörfern in Cochabamba und Vallegrande ein neues Zuhause. An der Cancha, einem der größten Märkte Südamerikas, betreiben sie einen Kindergarten mit sechs Gruppen und 180 Kindern, die sonst bei ihren Eltern zwischen den Marktständen ausharren müssen. Und darüber hinaus sind viele der heute 30 Ordensschwestern in der Pastoral und Seelsorge tätig. Während der Coronapandemie versorgten sie unzählige Familien mit Kleidung und Essen.
Die Geschichte des Aufbruchs vor 100 Jahren nach Bolivien ist noch längst nicht zu Ende. Sie ist immer wieder von neuen Aufbrüchen geprägt.
Eines der jüngsten Projekte in Bolivien sind die Gruppen für die jungen Frauen, die das Kinderheim verlassen müssen. Die Schwerstern begleiten sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit. „Denn wir wollen, dass die Erziehung und die positiven Erfahrungen aus den Kinderdörfern nahhaltig Früchte tragen“, sagt Schwester Theresia Lehmeier. Sie hält den Kontakt zu den Schwestern in Bolivien.
Auf- und Umbrüche gibt es bis heute
Eine der Begleiterinnen auf dem Weg in die Selbstständigkeit ist Schwester Maria Antonia Freude. Fast 90 Jahre alt, ist sie neben Schwester Maria Cornelia Koch, die Geschäftsführerin des Montessori-Kindergartens Casa de Niños ist, die letzte deutsche Missionarin. So haben die deutschen Schwestern auch die bolivianischen Ordensschwestern längst in die Selbstständigkeit entlassen – um ihnen die nächsten Aufbrüche zu überlassen.