700.000 Menschen sind aus dem Norden Mosambiks auf der Flucht – im Lager Corrane leisten die Ordensschwestern humanitäre Hilfe
Mehr als 700.000 Menschen sind im Norden Mosambiks auf der Flucht vor Gewalt und Terror. Aus der nördlichen Provinz Cabo Delgado strömen sie vor allem in die südlicheren Teile des Landes. In Flüchtlingslagern wie dem von Corrane, 50 Kilometer nördlich von Nampula, stranden sie dann völlig mittellos, ausgehungert und traumatisiert. Mehr als die Hälfte der hier eintreffenden Flüchtlinge sind Kinder. Und ein Team der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel ist mittendrin, um Hilfe zu leisten.
Dazu gehört Schwester Argentina João Amisse Sie übermittelte Anfang dieser Woche aktuelle Zahlen aus Corrane. Demnach sind dort bisher 2606 Menschen angekommen. 444 Männer, 630 Frauen und 1532 Kinder. 21 Frauen sind schwanger, 14 Menschen wurden als behindert eingestuft. Sie und ihre Mitschwestern bieten in dem Lager beispielsweise Näh- und Alphabetisierungskurse an, übernehmen Kinderbetreuung und Notfallsprechstunden. Auch Gottesdienste gehören zum festen Programm der Ordensgemeinschaften, die abwechselnd in Corrane mit ihrer Unterstützung Präsenz zeigen.
Erste Anfrage an die Schwestern kam Mitte November
Bereits Mitte November 2020 waren die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel um Mithilfe angefragt worden. In Nampula hatte ein Krisentreffen von Ordensleuten und Mitarbeitenden in der Pastoral stattgefunden, denn unübersehbar war die Not zahlreicher Flüchtlinge in der Stadt. Seitdem übernehmen sie in dem Flüchtlingslager Aufgaben und Angebote. „Jeden Augenblick taucht eine andere Herausforderung auf“, berichtete Regionalkoordinatorin Schwester Leila de Souza e Silva schon in der Anfangsphase. Und diese Herausforderungen werden zunehmend größer. Sie ist selbst regelmäßig vor Ort und weiß: „Die meisten Flüchtlinge erleben wir hier in Nampula ungeschützt, nur mit der Kleidung am Leib.“ Nampula ist die Provinzhaupstadt der gleichnamigen Provinz Nampula, die südlich an Cabo Delgado angrenzt. Hier und im 135 Kilometer weiter südwestlich gelegenen Ort Nametória haben die Schwestern seit einigen Jahren Niederlassungen.
Die Covid 19-Pandemie belastet das Land zusätzlich. Zwar gibt es offiziell noch keine 1000 Tote, jedoch sind die Vorsichtsmaßnahmen unkoordiniert und zum Teil rabiat. Die Schule in Metarica musste bis zur Wiedereröffnung im März 2021 beispielsweise ein ganzes Jahr über geschlossen bleiben. Schwester Leila sagt, dieses Schuljahr sei für die Kinder verloren. Online-Unterricht ist in Mosambik kaum möglich. Zudem wurde der Norden des Landes 2019 vor zwei Jahren von dem Zyklon Kenneth heimgesucht, der nicht nur erhebliche Zerstörungen, sondern auch mehrere Missernten zur Folge hatte. Diese Umstände steigern die Not in dieser Region umso mehr.
Korruption, Perspektivlositkeit, Terror
Aktuelle Berichte erhielt die Missionsprokuratorin der Ordensgemeinschaft, Schwester Klara Maria Breuer, am Mittwoch dieser Woche in einer Online-Konferenz des Koordinierungskreises Mosambik, in dem sich Engagierten und Interessierte vernetzen und gegenseitig informieren. Auch Schwester Leila war dieser Konferenz zeitweise zugeschaltet. Dort wurde ebenfalls deutlich, dass die Hintergründe der Gewaltexzesse und der einsetzenden Flüchtlingsbewegung aus Cabo Delgado kompliziert sind.
Aktuell gibt es schon über 2.800 Tote. „Ich habe jetzt schon an drei Online-Veranstaltungen des Koordinierungskreises Mosambik teilgenommen, in denen es ausdrücklich um die gewalttätigen Unruhen ging. Dabei wurde mir klar, dass politische und wirtschaftliche Hintergründe sowie Perspektivlosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen, eine Rolle spielen. In diese Gemengelage treffen zudem islamistische Terror-Aktivitäten“, erläutert Schwester Klara Maria. Für die betroffenen Familien bedeute das, dass sie ihre Lebensgrundlage – zumeist als Fischer oder Bauern – verloren haben. Um sich in Sicherheit zu bringen, flüchteten sie weiter in den Süden des Landes.
In deutschen Medien wird nur sehr sporadisch über die Situation in Mosambik berichtet. Am 30. April veröffentlichte der Spiegel dazu einen größeren Artikel. Am 7. April informierte die Tageschau beispielsweise über die Unruhen. Gute Hintergrundinformationen bietet auch die Deutsche Welle. Im Missionsmagazin kontinente berichteten die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel über die dramatische Lage schon in Ausgabe 2-2021.
Reich an Bodenschätzen
Tatsächlich ist die Region von Cabo Delgado reich an Bodenschätzen. Dazu gehören große Gasvorkommen vor der Küste, Rubin-, Grafit- und Goldminen. Doch gilt die Regierung als korrupt. Sie hat Verträge mit ausländischen Investoren abgeschlossen, von denen die einheimische Bevölkerung nicht profitiert. Dazu gehört etwa auch der französische Mineralölkonzern Total. „Mosambik ist zwar weit weg. Doch ist Europa unmittelbar involviert. Daher dürfen wir vor dieser humanitären Katastrophe nicht die Augen verschließen“, warnt Schwester Klara Maria. Total habe sich inzwischen aus der Gasförderung zurückgezogen und sein Personal aus der Krisenregion evakuiert.
Söldnertruppen und islamische Extremisten liefern sich in dieser Region erbitterte Kämpfe. Dabei scheinen sich die Menschen auch aus Gründen ihrer Perspektivlosigkeit und Wut den unterschiedlichen Truppen anzuschließen. Ein neuer Höhepunkt an Gewalt, Zerstörung und Grausamkeit ereignete sich am 24. März in der Fischerstadt Palma am Indischen Ozean. 75.000 Menschen lebten vor den Angriffen dort. Tausende sind vor der Gewalt geflohen.
Dauerhafte Präsenz geplant
Die Lage wird sich in den kommenden Monaten wohl nicht entspannen. „Geplant ist daher eine dauerhafte Präsenz von Mitgliedern verschiedener Ordensgemeinschaften im Flüchtlingslager Corrane“, berichtet Schwester Leila aus Mosambik. Zurzeit wechseln sich die Ordensleute mit ihrer Präsenz im Flüchtlingslager ab. Die Bergkloster Stiftung SMMP unterstützt das Engagement von Deutschland aus finanziell. Da die Schwestern vor Ort mit traumatisierten Menschen zu tun haben, gilt es auch die beteiligten Schwestern in dieser Situation zu betreuen und fortzubilden.
Inzwischen haben mehrfach einige der vielen jungen mosambikanischen Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel im Flüchtlingslager in Corrane Präsenzzeiten übernommen. So etwa Schwester Rábia und Schwester Germinda. Die Umstände, auf die sie dort trafen, gibt Schwester Leila wie folgt wieder: „Über Tag ist die Hitze unerträglich. Nachts kann es dagegen kalt werden. Und wenn es regnet, fließt das Wasser in die Zelte hinein.“ Die Regierung organisiere das Lager, die Präsenz der Ordensleute sei klar abgestimmt und strengen Sicherheitsmaßnahmen unterworfen. Dazu gehöre das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, denn das Corona-Virus lauert nach wie vor in Mosambik.
Die Bedeutung des Engagements der Ordensgemeinschaften sieht Schwester Leila vornehmlich in der emotionalen Unterstützung der Flüchtlinge: „Die ist enorm wichtig. Und die macht den Unterschied zu einer Massenabfertigung aus“, ist sie überzeugt.
Alleinstehende Frauen sind besonders gefährdet
Dass es auch zu verstörenden Momenten kommen kann, erläutert die Regionalkoordinatorin anhand eines Erlebnisses während des Einsatzes im Lager im Januar: „Drei unserer jungen Schwestern hielten sich bei den Frauen auf, die in der Nähe des Brunnens Wäsche wuschen. Sie zeigten ihnen, wie sie sparsamer mit ihrer Seife umgehen und zudem das Waschwasser später noch zum Bewässern ausgetrockneter Maispflanzen nutzen könnten.“ Die Frauen hätten diesen Rat auch dankbar angenommen: „Unsere Schwestern spürten, dass ihnen viel Vertrauen entgegengebracht wurde. Das reichte so weit, dass eine Frau, deren Mann bei den kriegerischen Auseinandersetzungen in Cabo Delgado ums Leben gekommen war, eine der Schwestern bat, für sie außerhalb des Lagers einen neuen Ehemann zu besorgen. Das hat unserer jungen Mitschwester im ersten Moment doch einen Schrecken versetzt.“
Gut, dass sich nach solchen Einsätzen alle Schwestern Zeit nehmen, Erlebtes miteinander auszutauschen und auf diese Weise gemeinsam zu reflektieren. Auch den Wunsch, schnell wieder einen Mann an seiner Seite zu haben, kann man dann vor dem Hintergrund der traumatischen Erfahrungen besser verstehen. „Erwiesen ist, dass alleinstehende Frauen noch schutzloser insbesondere sexueller Gewalt ausgesetzt sind als Verheiratete. Das gilt auch für die Konflikte in und um Cabo Delgado“, sagt Schwester Klara Maria. Für die Kinder sind jene Momente besonders wichtig, in denen die jungen Schwestern mit ihnen spielen oder Lernangebote geben. Sie haben den Kindern auch schon einmal Fußbälle mitgebracht: „Durch solche Aktivitäten erleben sie in diesem schwierigen Umfeld etwas Normalität.“
Für einen Augenblick die harten Lebensbedingungen im Lager vergessen zu können, vermag Widerstandskräfte zu wecken und zu stärken, vermutet Schwester Klara Maria. „Nach Kräften Not zu lindern, hat uns die heilige Maria Magdalena Postel vorgelebt und aufgetragen. Das setzen unsere Schwestern bei ihrem Engagement im Flüchtlingslager Corrane handfest und ganzheitlich um.“