Ein spiritueller Impuls von Schwester Klara Maria Breuer zur zweiten Advent-Woche
Erneut kündigt ein Geschäft in der Innenstadt seine Schließung an. Vor der Eingangstür bemerke ich eine Schlange Wartender. Die Preise sind deutlich reduziert. Das wollen Kundinnen und Kunden noch einmal nutzen. Warteschlangen erlebe ich auch dort, wo Speisen und Getränke zum Mitnehmen verkauft werden. Die Pizza „auf der Hand“, der Kaffee „to go“ sind verbleibende Alternativen in diesen Zeiten geschlossener Cafés und Restaurants.
Von einer anderen Warteschlange ist dagegen im Evangelium des zweiten Adventssonntags zu hören. Vom Auftreten Johannes des Täufers in der Wüste ist die Rede. „Viele Menschen aus der ganzen Provinz Judäa und aus Jerusalems kamen zu ihm. Sie bekannten ihre Sünden und ließen sich von ihm im Jordan taufen“, berichtet der Evangelist Markus. Ich stelle mir eine lange Schlange von Menschen vor, die voll Erwartung gewesen sind. Die Wartezeit hat vielleicht den Einen und die Andere fragen lassen: „Was mache ich hier? Wo läuft es derzeit nicht rund in meinem Leben? Wo möchte ich neu anfangen? Hier am Jordan den ersten Schritt tun? In aller Öffentlichkeit, sichtbar für alle, die mit mir in der Reihe stehen.“
Ich denke mir, dass damals diese kollektive Ahnung von etwas Neuem, das sich ankündigt, mitreißt und aufbrechen lässt, in der Luft lag. Von Zeitenwenden sprechen wir manchmal. Dabei denken wir an Momente in der Geschichte, in der Viele von neuen Gedanken gepackt werden und Gesellschaften sich verändern. Die Reformation war solch eine Zeitenwende. Ein gärender Missmut über nach Erneuerung verlangende Zustände in der Kirche brach sich durch Luthers Auftreten Bahn. Und heute?
Eine Zeitenwende, die nach persönlicher und kollektiver Umkehr ruft, sehe ich im Klimawandel. Von drohenden „Kipppunkten“ ist die Rede, von denen aus Klimaveränderungen nicht mehr umkehrbar sind. Es liegt in der Luft: Wir können nicht so weitermachen, immer schneller, immer mehr. Einzelne sowie Klima- und Umweltbewegungen fordern Änderungen der Lebens- und Wirtschaftsweise. Kommt ihr Weckruf an?
In diesem Advent ist es stiller in der Stadt. Weihnachtsmärkte fallen wegen der Corona-Pandemie aus. Vielleicht erleben wir diese Zeit wie eine Wüste und hoffen, dass sie vorbei geht. Doch: Soll alles wieder werden „wie gehabt“? Oder lassen wir uns von Erfahrungen der Corona-Zeit zur Umkehr bewegen? Von der Erfahrung der Solidarität. Davon, dass es zum Beispiel auch mit weniger Dienstfahrten und Fernreisen geht. Lassen wir uns zu neuen Schritten bewegen. Wie die Menschen in der Warteschlange am Jordan. Damals wie heute geht es um nicht weniger als um Leben. Gutes, erfülltes Leben. Für alle. Für Mensch und Mitgeschöpfe.
Sschwester Klara Maria Breuer ist Missionsprokuratorin der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel