Prof. Dr. Johanna Rahner sprach im Bergkloster Bestwig über die Herausforderungen für die Kirche – und was Hoffnung machen könnte.
Bereits im November 2018 kam Prof. Dr. Johanna Rahner schon einmal zu einem viel beachteten Vortrag über die Zukunft der Kirche ins Bergkloster Bestwig. Ihre Erkenntnis damals: „Ich gebe der katholischen Kirche noch fünf Jahre. Bis dahin fällt die Entscheidung, in welche Richtung es weitergeht.“
Dass diese fünf Jahre nun herum waren, nahmen die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel zum Anlass, Johanna Rahner für Ende Februar 2024 wieder nach Bestwig einzuladen.
Die Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie & Direktorin des Instituts für Ökumenische und Interreligiöse Forschung an der Universität Tübingen bringt sich seit vielen Jahren immer wieder in den Diskurs um Reformen in der katholischen Kirche ein. Entsprechend gespannt waren die über 90 Gäste im Bergkloster Bestwig und die über Zoom zugeschalteten Zuseherinnen und Zuseher, die eine Liveübersetzung des Vortrags in Gebärdensprache verfolgten, wie Prof. Dr. Rahner die aktuelle Lage einschätzen würde.
„Die Realität der Kirche sieht durchwachsen aus“, so die Professorin und stützt sich dabei auf die Ergebnisse der Sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland, die im November 2023 veröffentlicht wurde.
Seit 1972 führt die EKD alle zehn Jahre diese breit angelegte und repräsentative Untersuchung durch, mit der versucht wird, die kirchliche Wirklichkeit in Deutschland abzubilden. Erstmals wirkte auch die katholische Kirche bei der Befragung mit.
Ebenfalls dabei war Prof. Dr. Johanna Rahner, die die Entwicklung der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung von Beginn an fachlich durch ihre Tätigkeit im wissenschaftlichen Beirat begleitete.
In der späten Moderne sei der Raum für Gott sehr eng geworden. Man scheine Gott vergessen zu haben, sagt Johanna Rahner.
Dies drücke sich auch in den Ergebnissen der Sechsten Mitgliedschaftsuntersuchung aus. Diese komme zum Ergebnis, dass nur noch etwa 13 Prozent der Menschen als kirchlich-religiös eingestuft werden können. 25 Prozent seien religiös-distanziert, d.h. sie glauben noch an Gott, sind aber selten in der Kirche zu sehen. Die große Mehrheit von 56 Prozent bestehe aus säkular ausgerichteten Menschen, die mit Religiosität kaum noch etwas anfangen könnten. Die Kirchen seien in einer Minderheitensituation angekommen und diese müsse anerkannt und akzeptiert werden.
Trotzdem solle, so Johanna Rahner, kein Mensch religiös aufgegeben werden, denn laut der Studie seien nur ein Drittel der Bevölkerung streng säkular. Zwei Drittel seien zumindest für Sinn- und Religionsfragen ansprechbar.
Um diese Ansprache zu ermöglichen, sei ein grundsätzlicher Haltungs- und Sprachwechsel der Kirche notwendig, denn die Kirche habe zwei Probleme, ein prinzipiell, strukturelles und ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Kirchen seien in der Vergangenheit immer gewohnt gewesen, alles vorgeben zu können, was Menschen zu glauben, zu denken und wie sie sich zu verhalten haben. So funktioniere das heute nicht mehr. Kirchen könnten nur noch Angebote machen, und die Menschen würden sich dann für eine bestimmte Zeit oder ein bestimmtes Event entscheiden, diese Angebote anzunehmen. Eine Bindekraft der Kirchen für Gemeinschaften und Menschen für eine lange Zeit sei verlorengegangen.
Neben diesem strukturellen Problem sei aktuell ein Glaubwürdigkeitsproblem eine besondere Herausforderung für die Zukunft insbesondere der katholischen Kirche, meint Johanna Rahner. Dies drücke sich auch wieder in den Ergebnissen der Mitgliedschaftsuntersuchung aus. Die katholische Kirche liege im Bereich der Glaubwürdigkeit hinter den politischen Parteien, der Bundesregierung und der evangelischen Kirche. Um dies zu ändern, müsse sich auch die Kirche grundlegend ändern. Die Antworten der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer auf Fragen zu Gründen für Kirchenaustritte und was Menschen in der Kirche halten würde, wiesen in eine klare Richtung. Kirchen müssten sich deutlich zu ihrer Schuld bezüglich Skandale und Vertuschungsaktionen bekennen, radikale Reformen durchführen und sich zur Gleichberechtigung bekennen.
Weitere Lösungen für die Krise in der Kirche beständen in der Anpassung der kirchlichen Sprache und im Nutzen des Sozialpotentials der Kirchen.
„Die Kirchen müssen eine andere Sprache finden“, so Rahner. „Die Kirchen verwenden immer noch eine Sprache, die heute von den Menschen nicht mehr verstanden wird.“ Mit traditionellen, liturgischen Begriffen könnten heute keine Menschen mehr überzeugt werden.
Die Menschen, egal ob gläubig oder nicht, würden außerdem erwarten, dass Kirche sich sozial für Personen in kritischen Lebenssituationen engagiert. Dieses Sozialpotenzial der Kirchen müsse genutzt werden, so Rahner. Es sei an den Kirchen entsprechende Angebote vorzuhalten. Nicht umsonst sei die Glaubwürdigkeit der Diakonie und Caritas laut der Mitgliedschaftsstudie deutlich höher als die der katholischen Kirche.
Die Kirchen dürften sich nicht aus der Welt zurückziehen, sondern müssten noch stärker in die Welt hinausgehen, appelliert Johanna Rahner. Es gelte die Ohren zu spitzen, was in der Welt passiert, denn jede Kommunikation des Glaubens müsse erstmal wissen, was los ist, was die Menschen bewegt. Weitere, andere „Orte“ an denen Kirche stattfinden kann, müssten entdeckt werden.
Und dann müsse man den Menschen niederschwellige Angebote machen, müsse Dialogfähigkeit zeigen. Es gelte dort hinzugehen, wo es brennt und dass, was vor Ort an Glauben entdeckt werde, zum Leben zu bringen, indem neu und anders von Gott erzählt werde. Ordensgemeinschaften wie die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel zeigten, wo solche Orte zu finden sind: „Sie sind oft auch an den Rändern unserer Gesellschaft im Einsatz.“
Dass das Thema „Zukunft der Kirche“ den vielen Besucherinnen und Besuchern sehr nahe ging, zeigten die vielen Fragen aus dem Publikum, die Prof. Dr. Johanna Rahner gerne und ausführlich beantwortete.
Weitere Informationen und Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedsschaftsuntersuchung finden Sie auf der Website kmu.ekd.de