Der Friedensethiker Heinz-Günther Stobbe wirbt bei dem Placida-Empfang in Heiligenstadt für eine ökumenische Einheit in Vielfalt
„Lasst die Kirche Kirche sein“ – während des Nazi-Regimes ermutigte die ökumenische Bewegung Praktisches Christentum die Gläubigen in Deutschland vom englischen Oxford aus, ihre Charismen zu entfalten und ihrer Berufung zu folgen. Dass die Kirche allen Christen diese Freiheiten lässt, hält der Theologe und Friedensethiker Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe bis heute für wesentlich, will die Kirche Beiträge zum Frieden leisten.
„Herr, gib uns Deinen Frieden!“ lautete das Thema des Placida-Empfangs am Donnerstagabend im Bergkloster Heiligenstadt. Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow freute sich, nach dreijähriger, Corona-bedingter Pause wieder über 100 Gäste aus den Kirchen, der Politik, dem öffentlichen Leben sowie Freunde und Förderer der Ordensgemeinschaft, Mitschwestern und Leitungskräfte aus den eigenen Einrichtungen und Diensten begrüßen zu dürfen. Und sie fragte: „Gibt es in dieser Zeit überhaupt ein wichtigeres Thema als den Frieden?“
Placida Viel war die zweite Generaloberin der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel und gründete 1862 in Heiligenstadt den ersten deutschen Schwesternkonvent. Nach ihr ist der Empfang benannt. Wieviel auch sie Friedensbotschafterin war und Brücken zwischen Frankreich und Deutschland baute, machte Propst Marcellus Klaus schon in der Vesper zum Auftakt des Empfangs in der Klosterkirche deutlich: „Als junge Schwester wurde sie bereits auf Reisen geschickt, um Gelder für den Wiederaufbau der Abtei St. Sauveur-le-Vicomte zu sammeln. Das war im 19. Jahrhundert mit vielen Strapazen verbunden. Aber sie tat das mit einem ungeheuren Gottvertrauen und sagte: Gott ist da – das genügt.“ An ihrem Leben werde deutlich, zu was Berufung befähigt.
Die Kraft der Berufung
Der Vortrag von Heinz-Günther Stobbe, der bis heute Moderator des Sachbereiches Frieden der deutschen Kommission von Justitia et Pax ist, schloss thematisch daran an. Zu was eine gelebte Berufung befähige, zeigten Freiheitskämpfer wie Oscar Romero, Dietrich Bonhoeffer oder Max Josef Metzger, einer der Vorkämpfer für die Ökumene während der Nazi-Zeit. Er war Mitbegründer der Una Sancta-Bewegung und deswegen des Hochverrats angeklagt. Der als Blutrichter bekannte Roland Freisler entgegnete ihm im Prozess: „Die Una Sancta sind wir!“ Stobbe erläuterte: „Damit meinte er natürlich die Nazi-Ideologie. Dieser Ideologie haben sich nur mutige Menschen entgegengestellt.“ Das seien Menschen gewesen, die sich dazu berufen fühlten.
„Berufung ist nichts, was theologischen Spezialisten vorbehalten ist“, machte der Referent deutlich. Eine Berufung könne jeder in sich spüren. Schon die Annahme des Glaubens sei so eine Berufung: „Dabei darf man auch mit Gott hadern. Sie ist ein Prozess. Aber wenn man sie annimmt, wird sie das Leben nachhaltig verändern.“
Für diese Berufung gebe es keine Voraussetzungen. Sie habe auch nichts mit Moral und Ethik zu tun. „Wenn wir von der Kirche ethische und moralische Ratschläge erwarten, greift das viel zu kurz. Berufung sei ein sehr persönliches Geschehen zwischen dem Menschen und Gott. Wichtig sei es, dieses Geschehen – und das was auslöst – zuzulassen. Auch die Kirche müsse mehr Vielfalt an Berufungen zulassen. Die Einheit in Vielfalt zu wahren, sei ihre Aufgabe: „Was sie sich selbst am dringlichsten schuldet, ist in diesem Sinne Kirche zu sein. Sonst macht sie sich schuldig vor Gott.“
Urauftrag der Kirche
Bezeichnete Paul Zulehner 1984 den Einsatz für den Frieden als Urauftrag der Kirche, übersetzt Heinz-Günther Stubbe dieses Engagement vor allem mit den einzelnen Berufungen, die sich in ihr entfalten.
Hingegen habe der portugiesische Literatur-Nobelpreis-Träger José Saramago nach den verheerenden Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 behauptet: „Es ist bekannt, dass keine Religion jemals dazu diente, Frieden zu bringen.“ Dass religiöse Glaubenskriege zu den dunkelsten Kapiteln der Menschheit gehören, solle man als „unbestreitbare Tatsache“ annehmen.
Stobbe zählte viele dieser Konflikte auf: Von der Verfolgung der Juden in Europa über die Verfolgung der Christen in vielen arabischen Ländern, vom Terror zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland bis zur Ermordung der Jesiden in Syrien. Und er gab zu: „Dieses Phänomen hat eine beeindruckende Dauer und Tiefe.“ Die reiche bis zu den Auseinandersetzungen innerhalb der Konfessionen und Religionen: „Oscar Romero wurde von den Soldaten einer katholischen Regierung erschossen, Ghandi von einem Hindu-Extremisten ermordet.“ Gleichwohl aber hätten mutige Freiheitskämpfer und Widerständler den notwendigen Mut immer wieder aus ihrem Glauben geschöpft, so dass die These Saramagos in ihrer Absolutheit nicht haltbar sei.
Ökumene als Glaubwürdigkeitsbeweis
Die Kirche sei angesichts ihrer heutigen Krisen kaum in der Lage, sich institutionell für den Frieden einzusetzen. „Wie soll sie dazu beitragen, wenn sie außerstande ist, mit sich selbst und anderen Frieden zu schaffen?“ räumte der renommierte Friedensethiker ein. Und doch gebe es innerhalb der Kirche viele Vorkämpfer und Initiatoren, die Vorbilder seien.
Zu Heinz-Günther Stobbes Berufung gehört die Ökumene. Und er betonte: „Wäre nicht auch eine funktionierende Ökumene ein Glaubwürdigkeitsbeweis für die Friedensanstrengungen der Kirche?“ Der Ökumene schreibt der Theologe in dieser Hinsicht große Bedeutung zu. „Dabei geht es nicht um mehr Effektivität. Auf dem Spiel steht vielmehr das Kirche sein von Kirche.“
Ausdrücklich lobte er zwar die Anstrengungen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. Doch hätte die Kompetenz einer solchen Gruppe Grenzen – „und Jesus hat sich das Bemühen um eine Einheit der Kirche sicher nicht in Arbeitsgemeinschaften vorgestellt.“
Umsturz der Ermächtigung
Mit dem Vater Unser habe Jesus einen Grundstein für das Verständnis von Kirche gelegt. „Schon die Anrede ‚Vater Unser‘ deklariert einen Umsturz der Ermächtigung. Jesus ermöglicht uns, Gott Vater zu nennen. Dieses Gebet erklärt uns alle zu Kindern Gottes.“ Daher tauge das Vater Unser nicht als Grundlage für politische Reformen, aber für nachhaltige, subversive Veränderungen. Und insofern sei Jesu Botschaft hochpolitisch.
Als Kinder Gottes, die wir werden wollten, dürften wir uns im Glauben gestärkt und berufen fühlen, so Stobbe: „Dabei führt uns die Berufung auf eine Reise, durch die wir zu finden und zu werden hoffen, was wir sind.“ So sei die gesamte Kirche als Gemeinschaft aufgefordert, „in der Welt immer mehr Reich Gottes zu werden, ohne es in Vollkommenheit je zu erreichen.“ Und dafür sei es wichtig, eine Vielfalt an Berufungen zuzulassen. „Uniformität ist hingegen immer ein autoritäres Projekt. Das widerspricht der Kirche.“ Deshalb sei die Einheit in Vielfalt auch wichtigster Auftrag für die Ökumene.
Für diese Einheit setzt sich Heinz-Günther Stobbe nach wie vor sehr engagiert ein. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Kirche Frieden stiften kann.