Die letzte Chance? Ein Ausblick auf das Finale des Synodalen Weges 2023
2023 wird ein wegweisendes Jahr für die katholische Kirche. Im Frühjahr endet der Beratungsprozess des Synodalen Weges in Deutschland. Im Oktober tagt erstmals die Weltsynode, für die Papst Franziskus bereits eine zweite Sitzung im Oktober 2024 angekündigt hat. Denn die synodalen Prozesse finden derzeit in allen Ländern, auf allen Kontinenten statt. Dadurch werden wesentliche Weichen für die Zukunft gestellt. Wichtig ist eine möglichst breite Beteiligung der Christinnen und Christen an der Gestaltung der Kirche. Die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel haben dafür schon manchen Impuls gegeben.
Der öffentlich gewordene sexuelle Missbrauch von Priestern an Kindern und dessen zögerliche Aufarbeitung gaben in Deutschland den Anstoß dafür, vor allem die Themen Macht und Gewaltenteilung, priesterliches Leben, die Beteiligung der Frauen an Ämtern und die kirchliche Sexualmoral in den Blick zu nehmen. Sie hängen unmittelbar mit den Fragen des Machtmissbrauchs zusammen, der in sexuellen Übergriffen und spirituellem Missbrauch seine perfiden Auswüchse hat.
Kommen diese Diskussionen zu spät? Kann sich die Kirche noch glaubhaft verändern? Gibt es überhaupt noch genügend engagierte Christen, um Neuanfänge herbeizuführen?
Die ARD-Dokumentation über die Initiative „Out in Church“ ließ Anfang 2022 zahlreiche Katholikinnen und Katholiken zu Wort kommen, die ihre sexuelle Identität verbergen oder ihre Partnerinnen und Partner verleugnen, um ihre Arbeit in der Kirche nicht zu verlieren. Ein Impuls, der immerin in kürzester Zeit für eine Erneuerung des kirchlichen Arbeitsrechtes sorgte.
Die Benediktinerin Philippa Rath lässt in ihrem Buch „Weil Gott es so will“ 150 Frauen davon erzählen, wie sehr sie darunter leiden, ihre Berufung nicht leben zu dürfen. Im August 2022 referierte sie über ihre zahlreichen Begegnungen und Gespräche im Bergkloster Bestwig.
Und schließlich zeigt die MHG-Studie, wie lange Menschen unter erfahrenem Missbrauch litten und nicht darüber sprechen konnten. Schon gar nicht mit Vertretern der katholischen Kirche. All das macht deutlich, wie verlogen die verfasste Kirche in den Augen vieler wirken muss. Das ist ein Aufschrei.
Die Kirche muss sich Beulen holen
Der Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim, Christian Hennecke, fordert in seinem aktuellen Buch „Raus in eine neue Freiheit“ einen Ausbruch statt einen Aufbruch. Hennecke referierte schon 2014 beim Placida-Empfang im Bergkloster Heiligenstadt über die Herausforderungen der Kirche. Er ermahnte Christinnen und Christen, sich nicht zu schonen: „Die Kirche muss sich Beulen holen.“
Die holte sich auch Jesus. Auch er brach nicht nur auf, sondern aus. Er stieß die Tische der Händler im Tempel um, brach jüdische Gesetze, die ihn zum Geächteten machten, blieb standhaft bis zur Kreuzigung. Der Bibelexeget Klaus Berger erklärte 2004, dass genau das bis heute Aufgabe der Christen sei – denn: „Eine von der Radikalität Gottes purgierte Kirche macht sich zum Abklatsch einer humanen Allerweltsmoral und eliminiert ihr Herzstück, den lebendig anwesenden, immer wieder auch maßlos einfordernden Gott.“
Sich dies bewusst zu machen könnte gerade in einer Zeit wichtig sein, in der die Kirche zahlreiche Mitglieder verliert, deshalb aber nicht ihre Stimme verlieren muss. 2022 stellten die registrierten Christen in Deutschland erstmals keine Mehrheit mehr dar.
Die Urkirche war nicht als Volkskirche angelegt, macht Berger klar: Kirche bedeutete Aufopferung und Courage. Aber dadurch auch Freiheit. Und erst das bringt Erfüllung. Einer kleineren Kirche eröffneten sich da neue Chancen.
Notwendig sind echte Reformen
Urkirchliche Erfahrungen sind heute vor allem in strukturschwachen Regionen oder in der Diaspora möglich. Bischof Michael Wüstenberg, der zehn Jahre lang die Diözese Aliwal in Südafrika leitete und diese Erfahrungen zur Grundlage seines im Oktober 2022 erschienenen Buches „Kompass Urkirche“ machte, berichtete im Oktober 2018 beim Forum Weltkirche im Bergkloster Bestwig: „Wenn eine Gemeinde dort drei Priester für 23 Orte hat, heißt das natürlich, dass wir Laien Leitung übertragen. Und dass wir Laien auch zugestehen, ihre eigenen Ideen zu entwickeln.“ Diese Ideen könnten manchmal ganz andere sein als sie den Hauptamtlichen vorschwebten.
Selbstverständlich sei es dann auch, Frauen einzubinden. In Ländern wie Mosambik führen sie längst Gemeinden. Die Ordensschwestern gestalten dort die Kirche aktiv mit. Bischof Wüstenberg stellte klar: „Unsere Aufgabe ist es, dass sich Menschen entfalten können. Nicht, dass sich Ämter durch den Erfindungsgeist der Kirche entfalten.“
Jesus lebte das vor. Er brach mit Traditionen, interpretierte Gesetze neu, provozierte – und das radikal.
Deshalb reicht es nicht, Kirche aus der Not des Priestermangels heraus zu modernisieren. Sie benötigt echte Reformen. Das meint: Kirche anders verstehen. Und vielleicht bietet sich diese Chance jetzt, im Prozess des Synodalen Weges oder als Folge daraus. Nur: Wer macht noch mit?
Das II. Vatikanische Konzil hatte damit vor 60 Jahren schon einmal begonnen. Damals schien Unmögliches auf einmal möglich. Papst Franziskus lädt uns jetzt ein, daran anzuknüpfen.
Kirche sind auch Verbände, Ordensleute und Mitarbeiter/innen
Und „uns“ sind wir alle: Kirche ist nicht nur ein hierarchischer und träger Machtapparat, der vor allem – und das berechtigterweise – Thema in den Medien ist. Kirche sind in Deutschland auch Verbände mit sechs Millionen Mitgliedern, die demokratisch organisiert sind und längst paritätische Vorstände haben; Kirche sind 15.000 Ordensleute, die ihre Oberen wählen und sich bei ihrem Einsatz für die Schwachen auch gegen Politik und Amtskirche auflehnen; Kirche sind fast zwei Millionen Beschäftigte, die in die Gesellschaft hineinwirken – oft in Einrichtungen, die Staat oder Kommunen nicht betreiben würden. Die Manege in Berlin-Marzahn oder das Julie-Poste-Haus in Bestwig sind dafür Beispiele. Und nicht zuletzt sind Kirche auch die Ungezählten, die nach Orten für ihren Glauben suchen und die in heutigen Gottesdiensten nicht mehr finden. Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind und doch nach einer Kirche suchen.
Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow, die im Februar 2022 die sogenannte Frankfurter Erklärung mit unterschrieben hat, setzt Hoffnungen auf den Synodalen Weg. Für diese Internetseite schrieb sie am 20. Februar: „Synodalität heißt in diesem Kontext, einander genau zuzuhören, bereit zu sein, voneinander zu lernen, eigene vorgefasste Meinungen zu revidieren, Hintergründe verstehen zu lernen. Es beinhaltet dann, Tendenzen und Beweggründe gut zu unterscheiden, und schließlich zu Entscheidungen zu finden, die alle mittragen können.“ Das alles gehe nur in einer Haltung des Gebetes, des Hörens auf das, was Gottes Geist uns heute sagen will.
Schwester Maria Thoma weiß, dass der Veränderungsprozess nach einem hoffentlich ermutigenden Abschluss des Synodalen Weges erst richtig beginnt: „Es wird ja einen synodalen Rat geben, der die Reformvorhaben weiter verfolgt. Die institutionelle Kirche wird sich nicht in den nächsten Monaten radikal ändern, das Mittragen aller wird nicht über Nacht der neue Trend. Aber ich habe Hoffnung, dass die Themen durch den synodalen Rat weiter wach gehalten werden.“
Die Frist läuft ab
Mitglieder einer Arbeitsgruppe der Paderborner Ordensobernkonferenz, der Schwester Laetitia Müller, Schwester Gratia Feldmann, Schwester Theresita Maria Müller und Schwester Julia Maria Handke angehörten, wünschen sich dann auch eine Auseinandersetzung mit dem Weiheamt der Frau. In ihrer Erklärung im Mai 2021, zu deren Unterzeichnerinnen Schwester Laetitia gehört, heißt es: „Die theologische Diskussion um die Frage, ob die Kirche ‚die Vollmacht habe, Frauen zu Priesterinnen zu weihen‘ wird zurzeit hauptsächlich von Vertretern des Lehramtes und der Theologie geführt. Letztlich geht es um die Frage der Christusrepräsentanz: Ist diese an das männliche Geschlecht, bzw. an den geweihten Priester gebunden?“
Als die Theologin Prof. Dr. Johanna Rahner im November 2018 zum 50-jährigen Bestehen des Bergklosters in Bestwig über die vor allem für Frauen fehlende Beteiligungsgerechtigkeit in der katholischen Kirche referierte, mahnte sie angesichts rasant steigender Austrittszahlen und eines wachsenden Reformstaus fast schon prophetisch: „Ich gebe der Kirche noch fünf Jahre. Dann ist die Entscheidung gefallen, in welche Richtung es weitergeht.“
Diese fünf Jahre sind im Herbst 2023 um.
Viel Zeit bleibt also nicht mehr. Aber wenn, das gibt es jetzt noch einmal eine große Chance. Und das Potenzial ist vorhanden. Das zu mobilisieren, erfordert viel Kraft, Selbstbewusstsein, Entschlossenheit, Mut. Zurzeit scheint die Kirche davon weit entfernt. Aber wenn den (noch) aktiven Christen die Dringlichkeit bewusst wird, kann die Kursänderung vielleicht gelingen. Vor 2000 Jahren hat das einer vorgelebt – und zwar radikal: Jesus.
Ulrich Bock (Unternehmenskommunikation SMMP)