Gedanken zur Ikebana-Gestaltung in der Bergklosterkirche
Toooor! So klingt es voll Begeisterung, wenn in einem spannenden Fußballspiel das Runde ins Eckige getroffen hat. Tor! So geht es mir seit einigen Wochen in ganz anderem Zusammenhang durch den Sinn. Dann, wenn ich einmal wieder im Bergkloster in Bestwig bin.
Seit dem Advent bildet ein großes Tor die Kulisse der Ikebana-Gestaltung im Altarraum der Bergklosterkirche. An jedem Adventssonntag wurde einer der vier Torflügel geöffnet. Auf jedem Flügel stand ein Satz aus dem Evangelium, wie „Alle Menschen werden das Heil sehen!“ und „Selig ist die, die geglaubt hat“. Das Tor selbst befindet sich auf einem Podest aus Holzklötzen, auf denen Worte wie „Vertrauen“, „Barmherzigkeit“ oder „Segnen“ stehen.
Zur Weihnachtszeit fanden sich die Krippenfiguren im Raum des Tores ein. Nach Abbau der Krippe barg das Innere des Tores einen großen, gelben Kreis, aus dessen Mitte ein rotes Tuch gen Boden herabfiel.
Je mehr mein Blick von der Gestaltung des Tores gefesselt wurde, desto mehr erschien es mir wie ein Hoffnungsentwurf, ja wie ein prophetisches Zeichen. Das offene Tor überwindet in seiner Darstellung die Erfahrung verschlossener Räume und eingeschränkter Begegnungen in der Corona-Pandemie. So erschien es mir auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle wie ein Ausblick auf hoffentlich wieder andere Zeiten.
Auch angesichts aller Krise und Bewegung, die wir derzeit in der Kirche erleben, wurde mir das offene Tor zu einem Bild, das die Vision einer neuen Wirklichkeit in sich trägt. Wie sehr wird im Synodalen Weg um Offenheit und Überwindung von erstarrten Strukturen gerungen. Heiße Eisen werden diskutiert. Das Drängende von Entscheidungen, die in neue, weite Räume führen, liegt in der Luft. Menschen wollen und sollen in der Kirche einen offenen Raum erfahren, der ihnen Willkommen vermittelt, so wie sie sind. Die Gestaltung des offenen Tores regt mich an, darum zu beten, dass Gottes Geist Erstarrung ins Fließen bringt und Ängste überwinden lässt.
Bei meinem jüngsten Aufenthalt im Bergkloster war die Ikebana-Gestaltung schon auf die beginnende Fastenzeit hin verändert. Die Torflügel sind abgebaut. In den Torrahmen hineingestaltet ist das Misereor-Hungertuch des Priesterkünstlers Sieger Köder, 1996 unter dem Titel „Hoffnung den Ausgegrenzten“ geschaffen. An den beiden Seiten des Tors fließen ein rotes und ein hellblaues Tuch herab. Als weiteres Symbol steht ein Krug unterhalb des Hungertuches. Wieder erscheint mir die Torgestaltung mit ihrer Symbolik hochaktuell. Die Mitte des Hungertuches zeigt das Bild eines gequälten Leidenskörpers. In einer Deutung der Bildmotive des Hungertuches lese ich: „Der Künstler zeigt mit dem Schmerzensmann das wahre Ausmaß des Leidens dieser Welt.“ Unweigerlich denke ich an das Leid der Menschen in der Ukraine durch den Angriff Russlands auf ihr Land. Gefühle von Fassungslosigkeit, Trauer, Schmerz, Wut und Ohnmacht mischen sich in vielen Menschen – auch in mir – mit der Frage, wie das hohe Gut des Friedens so kaltblütig aufs Spiel gesetzt werden kann.
Die bedrängende Sorge angesichts dieses Krieges in Europa bewegt viele, ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zum Ausdruck zu bringen. Türen der Diplomatie scheinen zugeschlagen. Zaghaft ist die Hoffnung, dass sie sich wieder einen Spalt öffnen. Wird es gelingen, Unfrieden, Trennendes, militärische Aufgebote, Unterdrückung von Menschen und Völkern zurückzulassen, um durch ein offenes Tor in Räume zu gehen, wo Frieden, Respekt vor der Würde eines und einer Jeden sowie Freiheit zu Hause sind? Vielerorts finden in diesen Tagen Friedensgebete statt. Das Gebet ist wie ein Tor, das aus dem Ohnmachtsraum in die Weite der Hoffnung auf Gottes Wege und Möglichkeiten führt. Und mit jedem Menschen, der leidet, ist ferner der solidarisch, der das Leid der Welt auf sich genommen hat, der am Kreuz gestorben und durch den Tod hindurchgegangen ist.
Wo, so sinne ich weiter, lädt nicht zuletzt mich persönlich das geöffnete Tor in der Fastenzeit ein, dem Raum zu geben, was in mir neu ins Leben und in den Frieden des Herzens kommen will, in der Beziehung zu mir selbst, zu Anderen und zu Gott? Dabei bin ich mir dessen bewusst, dass Öffnung und das Betreten neuer, unbekannter Räume Mut, Selbst- und Gottvertrauen brauchen.
Meine Gedanken gehen zu ihrem Ausgang zurück. Der „Torhüter“, so denke ich, befindet sich hier, im Altarraum der Kirche, nicht im Tor, sondern gleichsam dahinter. Denn: hinter der Torgestaltung stehen die drei Säulen mit dem Tabernakel, in dem Christus im Brot der Eucharistie gegenwärtig ist. Mit diesem Torhüter im Rücken kann das offene Tor gewagt werden. Hat ER nicht von sich selbst gesagt: „Ich allein bin die Tür. Ich bringe Leben – und dies im Überfluss.“ (Johannes 10,9)
Schwester Klara Maria Breuer