Missionsverständnis ist Thema beim Treffen der Freunde und Förderer im Bergkloster Heiligenstadt
„Wenn ich zurückblicke, bin ich vor allem selbst missioniert worden“, sagt Petra Sadura, die von 2008 bis 2016 das Kinderdorf Aldea Cristo Rey in Cochabamba in Bolivien geleitet hat. Sie war eine der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Podiumsgespräches beim Treffen von rund 80 Freunden und Förderern der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel am Samstag im Bergkloster Heiligenstadt. Und ihre Aussage machte deutlich, was Mission heute bedeutet: voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen.
„Mission ist heute keine Einbahnstraße mehr“, betont auch Schwester Klara Maria Breuer. Sie ist Missionsprokuratorin der Ordensgemeinschaft und stellte gemeinsam mit Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow zu Beginn des Treffens den Wandel des Missionsverständnisses vor. „Ein ursprüngliches Ziel lag darin, in fernen Ländern eine Kultur zu etablieren, die der dortigen überlegen ist“, blickte Schwester Maria Thoma in die Mission vergangener Jahrhunderte zurück. Folglich sollte auch das Christentum aus Europa exportiert werden. „Der Erfolg maß sich also vor allem an der Zahl der Taufen.“ Und leider sei dieses Ziel auch oft mit Gewalt und Unterdrückung durchgesetzt worden. Bis heute werde Mission damit assoziiert.
In den vergangenen 100 Jahren habe sich dieses Missionsverständnis grundlegend gewandelt: weg vom Belehren – hin zum Voneinander lernen. „Entscheidender Wendepunkt war das II. Vatikanische Konzil“, so Schwester Klara Maria. Das stellte klar: Die Kirche hat keine Mission. Sie ist vom Wesen her missionarisch: „Es geht also nicht darum, die Völker in die Kirche zu einzugliedern, sondern dass sich die Kirche umgekehrt in die Völker einpflanzt und beiden Menschen präsent ist.“
Kinder aus dem Gefängnis geholt
So hat Petra Sadura ihre Mission acht Jahre lang mit ihrer Familie in Cochabamba verstanden. „Wie traut man sich so etwas zu?“, wollte Moderator Dr. Udo Marquardt wissen. Und die frühere Leiterin der Tagespflege Haus Maria in Geseke erzählte, wie bei einer Frühjahrstagung der Leitungskräfte aus den SMMP-Einrichtungen und Diensten von der Suche nach einer Leitung dieses Kinderdorfes erfahren habe: „Da hatte es sofort in mir gekribbelt. Wir haben das in der Familie besprochen und in unserer Küche ein Plakat aufgehängt, auf dem wir die Vorteile und Nachteile eines Umzuges nach Bolivien sammelten. Die Vorteile überwogen. Vor allem die Neugier auf etwas Neues. Vielleicht auch die Sehnsucht, sie wieder auf das Wesentliche konzentrieren zu können.“ Die Jüngste ihrer drei Töchter war damals erst fünf Jahre alt.
In dem Kinderdorf Aldea Cristo Rey leben Kinder aus Familien, die vorher mit ihren Eltern im Gefängnis wohnten: „Wir haben gemeint, dass sie dort nicht hingehören. Wir haben sie herausgeholt, so dass sie eine Schule besuchen konnten, zugleich aber dafür gesorgt, dass der Kontakt zu den Eltern nicht abbrach.“ Eine Mission, die Petra Sadura auch viel an Liebe und Dankbarkeit zurückgegeben hat – „und durch die ich einen neuen Blick auf die Realität gewonnen habe.“
Angebot für die Menschen am Stadtrand
Ähnlich ging es der Sozialarbeiterin Sabine Stephan, die bis Anfang 2019 drei Jahre als Entwicklungshelferin in der Sozialarbeit an den Stadträndern der brasilianischen Stadt Leme tätig war. Aufgewachsen in der DDR, hatte sie als junger Mensch nie Gelegenheit zu einem solchen Auslandseinsatz: „Dann habe ich zunächst ein Sabbatjahr für einen mehrmonatigen Einsatz in Leme genutzt und Schwester Maria Ludwigis kennengelernt. Sie war damals schon weit über 80, und ich wusste, dass sie gut Hilfe gebrauchen kann. Und so wuchs das Interesse an einem längerfristigen Einsatz“, blickt sie zurück.
Die Armut der Menschen in den Stadtvierteln habe sie zunächst schockiert – „ebenso wie die Tatsache, dass die von den wohlhabenderen Familien in der Innenstadt kaum zur Kenntnis genommen wurde.“ In dieser Hinsicht zeiget sich Sabine Stephan von der Kirche in Brasilien enttäuscht: „Ich fand es befremdlich, dass in den bitteerarmen Stadtrandgemeinden für die neuen Fenster der Innenstadtgemeinde Spenden erbeten wurden.“ Eine ‚Kirche bei den Armen‘ habe sie in Leme nicht erlebt. Wohl aber unterhielten die Schwestern an den Stadträndern soziale Zentren, wo die Menschen aus diesen Vierteln einen Anlaufpunkt haben, Fortbildungsmöglichkeiten und psychologische Hilfe erhalten.
Ganz bewegt berichtet sie von einer Familie aus dem Stadtteil Imperial, die durch eine Fernsehshow ein neues Haus gewonnen habe: „Das wurde mitten in dieses Viertel an der Stelle des alten gebaut und alles filmisch dokumentiert. Und erst daraufhin erhielt ich Rückmeldungen von vielen Menschen aus der Innenstadt, dass ihnen gar nicht bewusst sei, wie arm die Menschen nur ein paar Kilometer weiter am Stadtrand seien.“
Das neue Haus bekam die Familie von Janete, über die es auch eine Reportage im kontinente-Magazin und einen keinen Film auf der SMMP-Sete gibt. „Jetzt haben sie ein neues Haus, sind aber noch genauso arm wie vorher“, weiß Sabine Stephan.
Topmanagerinnen in Mosambik
Michael Achteresch erzählte von seinen Auslandseinsätzen in Metarica in Mosambik. Über eine Spenderin hatte er als Lehramtsstudent von dem Einsatz der Ordensgemeinschaft in dem südamerikanischen Land erfahren. „Ich hatte mein Interesse angemeldet, und dann ging alles ganz schnell. Innerhalb von zweieinhalb Monaten war alles geregelt“, erinnert er sich. Er gesteht, sehr naiv gewesen zu sein: „Das Erlernen der Sprache hatte ich verschoben. Ich hatte mir zahlreiche Post it‘s mitgenommen. Aber das half alles nicht. Vielmehr musste ich lernen, mein Herz zu öffnen und viel von mir preiszugeben. Dann funktioniert auch der Spracherwerb.“
Es habe nur eine Woche gebraucht, bis er in Mosambik zum Lehrer, Bauarbeiter, Koch und Kinderbetreuer geworden sei. „Um fünf Uhr morgens ging es los. Irgendwann abends endete der Tag. Aber es hat mich erfüllt. Ich habe viel Dankbarkeit und Freude erfahren.“ Und vor allem imponierte Michael Achteresch der Einsatz der drei brasilianischen Schwestern, die die Arbeit in Mosambik aufgebaut hätten: „In Deutschland wird ja viel darüber geredet, was einen Topmanager ausmacht. Hier haben wir drei davon. Sie koordinieren, leiten an, hören zu und motivieren.“
Trotz großer Armut herzlich und offen
Schließlich berichtete auch Lena Minge begeistert von ihren Erfahrungen in Rumänien. Als Ergotherapeutin absolvierte sie 2018 ein mehrmonatiges Praktikum in der Landgemeinde Schineni. „Ergotherapie will helfen, die Teilhabe am normalen Leben zu ermöglichen. Das wollen die Schwestern dort auch bei den Familien erreichen. Sie sind so arm, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie eine Fuhre Holz zum Heizen oder die Medikamente für ihre Kinder kaufen. Beides geht nicht. Und trotzdem sind die Menschen dankbar, sehr herzlich und offen“, imponierte ihr.
So nehmen alle etwas von ihrem Auslandseinsatz mit nach Hause. „Das Bekenntnis und offene Leben des eigenen Glaubens habe ich in Bolivien sehr viel intensiver erfahren als hier“, sagt Petra Sadura. Sabine Stephan stellt fest: „Mich prägt diese Erfahrung. Für mich hat sich dadurch auch das Bild in Deutschland gewandelt.“ Denn auch hier gebe es Ränder, die kaum wahrgenommen würden.
Jetzt arbeitet die Sozialarbeiterin in der Manege in Berlin-Marzahn-Hellersdorf mit, wo sie Jugendlichen hilft, in ein geregeltes Leben zu finden. Und Michael Achteresch hat seine Erfahrung in Mosambik dahingehend beeinflusst, als Lehrer nicht an ein Gymnasium oder eine Realschule, sondern an eine Hauptschule zu gehen. Dort sieht er viel mehr Bedarf für pädagogische Arbeit.
Erfahrungen prägen in beide Richtungen
Aber auch andersherum prägen Erfahrungen. Das bestätigten die beiden Brasilianerinnen Ana Carolina de Moraes und Fernanda Grein de Moraes. Sie stammen aus Leme und verbringen zurzeit ein Jahr als Missionarinnen auf Zeit in Deutschland. In Heiligenstadt arbeiten sie im Bergkindergarten mit. „Wir hatten Schwester Aurora in Brasilien gefragt, wo wir ein Praktikum machen können. Dann hatte sie uns das Auslandsjahr in Deutschland angeboten“, berichtet Carolina de Moares. Und sie ist sicher, viele wertvolle Erfahrungen für die Arbeit mit Kindern mit nach Brasilien zu nehmen.
Zuhörer Stefan Theinert zeigte sich von den Berichten in dieser Podiumsrunde sehr beeindruckt: „Ich nehme wahr, dass die Arbeit in diesen Ländern viel mehr Seele hat als in Deutschland. Offenbar bekommen sie ganz viel von dem, was sie an Einsatz leisten, wieder zurück.“ Der Fuldaer, der selbst in einem sozialen Beruf tätig ist und eine, weiß: „In Deutschland ist es oft eher so, dass man ausbrennt, wenn man zuviel Seele investiert.“
Und auch ein anderer Besucher äußerte sich bewegt. Michael Borree war an diesem Tag mit seiner Frau eher zufällig ins Bergkloster gekommen. Eine Woche vorher hatte er die Schwestern auf dem Klostermarkt in Walkenried erlebt: „Dann haben wir uns gedacht, dass wir heute mal in Heiligenstadt vorbeifahre. Wir wussten nichts von dieser Veranstaltung und erleben wir jetzt etwas, was wir gar nicht erwartet haben. Das hat mich tief beeindruckt und bereichert.“
Persönliche Zeugnisse
Zum Abschluss des Programms gab es noch einmal kleinere Gesprächsrunden, bei denen sich die 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer je nach Interesse aufteilen konnten. Dort wurde das Angebot Missionar/in auf Zeit vorgestellt, das Thema Kirche mit Mission vertieft und über den Lebensstil der Ordensfrauen diskutiert.
Dann kamen alle Besucherinnen und Besucher mit den Schwestern noch einmal zur Vesper in der Bergklosterkirche zusammen. Dort bedankte sich Schwester Maria Thoma für die vielen intensiven Gespräche: „Der Tag stand unter der Überschrift ‚Getauft. Gefirmt. Gesandt.‘ Ich denke, dass wir dazu heute sehr viele persönliche Zeugnisse gehört und wahrgenommen haben.“ Mission sei als ein Geben und Nehmen interpretiert und erfahrbar geworden. Alle dürften sich ein bisschen von dieser Mission mit nach Hause nehmen.