Prof. Dr. Johanna Rahner mahnt zu mehr Beteiligungsgerechtigkeit in der katholischen Kirche
Die Theologin Prof. Dr. Johanna Rahner sieht den Zeitpunkt, da sich die hierarchisch verfasste Kirche in Deutschland noch reformieren könnte, fast schon verpasst. Es sei denn, es gelinge ihr noch, das riesige Potenzial der Frauen zu halten und zu aktivieren. „Denn wenn die Kirche für Gerechtigkeit eintritt, muss sie auch in der Geschlechterfrage glaubwürdig bleiben, Frauen also viel mehr zugestehen“, sagte sie am Freitagabend im Bergkloster Bestwig vor fast 130 Besucherinnen und Besuchern.
Das Interesse an der Veranstaltung war groß. Es mussten sogar noch viele zusätzliche Stühle in den Kapitelsaal gebracht werden. Mit dem Vortrag der profilierten Theologin, die als Professorin an der Universität in Tübingen den Lehrstuhl für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie innehat, endete die Veranstaltungsreihe zum 50-jährigen Bestehen des Bergklosters Bestwig.
Provinzoberin Schwester Johanna Guthoff erinnerte an die Anfänge ihrer Ordensgemeinschaft in der Normandie, als Maria Magdalena Postel mit den ersten Schwestern viele Hürden überwinden musste und von Priestern gedrängt wurde, die Gemeinschaft aufzulösen: „Aber sie hielt an ihrer Sendung fest. Und die Gemeinschaft blühte auf. Es gibt sie bis heute.“ Wahrscheinlich sei dieses Durchhaltevermögen auch bei der Frage der Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der katholischen Kirche notwendig.
Die entscheidenden Fragen wurden schon bei dem Konzil gestellt
„Die Frage nach teilhabegerechten Mitwirkungsstrukturen für Frauen und Männer stellt sich dort spätestens seit dem Ende des zweiten Vatikanischen Konzils“, so Prof. Dr. Johanna Rahner. Aber über die Diskussion käme die Kirche nicht hinaus. „2016 hat Papst Franziskus dazu eine neue Kommission eingesetzt. Jetzt haben wir 2018. Wie lange soll die noch tagen? Alles, was man zur Beantwortung dieser Fragen wissen muss liegt auf dem Tisch“, so die Theologin.
Das Konzil habe die wesentlichen Fragen angestoßen, die bis jetzt hätten beantwortet werden müssen. Doch der Klerus habe die konservativen Ansichten gehütet, den „strukturellen Antimodernismus“ sogar zum Hauptkennzeichen der katholischen Kirche hochstilisiert, so der Vorwurf der Tübinger Theologin.
Seien die Ergebnisse des Konzils noch vom gesellschaftlichen Umbruch des Jahres 1968 getragen und beflügelt worden, so habe sich das Scheitern der Reformen in der Kirche schon im selben Jahr gezeigt, als Papst Paul VI. seine Enzyklika Humane vitae, die sogenannte „Pillen-Enzyklika“ veröffentlichte. „Das war der letzte Versuch des Klerus, sich über das Gewissen des Einzelnen Gläubigen zu stellen – und er ist gescheitert.“ Von dieser strukturellen und theologischen Legitimationskrise habe sich die Kirche nie erholt.
Das Beharren auf der Vergangenheit gelte auch für Deutschland. Viele Ergebnisse der Würzburger Synode von 1971 bis 1975 seien im Keim erstickt. Auch zarte Pflänzchen wie die Einführung von Diözesanräten und -komitees für eine stärkeren Beteiligung von Laien änderten daran nur wenig. Und der auf dem Katholikentag 1982 in Essen aufgezeigte Alternativentwurf von Kirche habe ebenfalls keine Früchte getragen.
Die Gesellschaft hat die Kirche längst überholt
„Die Tatsache, dass die Gesellschaft die Kirche inzwischen längst überholt hat, muss uns beunruhigen“, mahnte Johanna Rahner. Die Beteiligungsgerechtigkeit sei dabei ein zentraler Punkt. Denn: „Die Kirche muss, wenn sie Zeugnis für Gerechtigkeit ablegen will, zuerst einmal selbst gerecht sein in den Augen anderer.“
Die Ursachen sieht sie im Klerikalismus. „Er scheint mir das Gift zu sein, das an der Wurzel der Kirche nagt“ – ob beim Nachdenken über die Zugangsvoraussetzungen zum Weiheamt, das die theologischen Diskussionen behindere, oder beim unbeholfenen Umgang mit dem Missbrauchsskandal. In diesem Zusammenhang zitierte Johanna Rahner den Soziologen Franz-Xaver Kaufmann, der darin die Unfähigkeit sieht, „die eigenen pathologischen Strukturen und die Folgen ihrer klerikalen Vertuschungen zu erkennen, zu erörtern und daraus praktische Konsequenzen zu ziehen.“ Dadurch werde nicht nur das Personal unglaubwürdig, sondern die Kirche als Institution.
Zwangsläufig sieht die Theologin den Ausschluss von Frauen als Rückseite dieses Klerikalismus: „Für die Kirche gibt es streng genommen also nur zwei Alternativen: Entweder dürfen Frauen alle seelsorglichen und pastoralen Aufgaben übernehmen oder die Kirche muss die Frauen entfernen. Alles andere ist theologisch verlogen.“ Ein Blick in die Kirchengeschichte zeige, dass es bis in die Neuzeit hinein Äbtissinnen mit Bischofsrecht gegeben habe. Warum müsse den Frauen das Weiheamt also heute verwehrt bleiben? „Wir alle üben in der Kirche einen seelsorglichen oder priesterlichen Dienst aus, der sich in verschiedenen Charismen ausdrückt. Dabei nimmt das eine dem anderen nichts weg“, so Professorin Rahner.
Parallelen zum „Ordensfrühling“ im 19. Jahrhundert
Interessanterweise gebe es in der heutigen Diskussion Parallelen zum sogenannten „Ordensfrühling“ im 19. Jahrhundert: „Die Emanzipation lebte auf. Es gab neue Lebensmodelle für Frauen. Immer mehr Unverheiratete schlossen sich zu Kommunitäten zusammen.“ Diese Wege hätten ihnen neue Türen zu Ausbildungen oder den Zugang zum Lehramt eröffnet. Vor demselben Hintergrund hätten sich 1862 in Deutschland auch die ersten Frauen den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel angeschlossen (s. Bericht zum Placidaempfang von 2015).
Doch im 19. Jahrhundert sei es der Amtskirche gelungen, diese Bewegungen einzufangen und deren Tätigkeitsfelder so zu begrenzen, dass sie sie letztlich kontrollierte. So hätten sich die Frauen innerhalb der kirchlichen Hierarchie zu Komplizinnen ihres eigenen Untergangs gemacht. Das werde heute nicht mehr passieren. Stattdessen wendeten sich immer mehr Frauen von der Kirche ab. Und nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die ihre Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit aus guten Gründen anzweifelten.
Wieviel Zeit bleibt der Kirche noch? Johanna Rahner wagt eine provokante These: „Ich gebe ihr noch fünf Jahre. Dann ist die Entscheidung gefallen, in welche Richtung es weitergeht.“ Ein Vertagen der drängenden Fragen nach mehr Beteiligungsgerechtigkeit sei daher fatal. Noch gebe es eine Kerngruppe, die sich in der Kirche engagiere, macht Johanna Rahner auch Mut – „aber die, die es darin jetzt noch gibt, werden wir nur halten können, wenn wir glaubwürdig bleiben. Und nicht, wenn man eigentlich gehen müsste, um noch glaubwürdig zu sein.“