Impuls zum Placidajahr von Schwester Dorothea Brylak
Das Leben eines Menschen ist vielseitig, faszinierend, spannend und herausfordernd. Wir werden geboren und sind mit unserer Geburt auch schon geprägt, haben unsere Eigenschaften und unseren Charakter. Jeder Mensch ist einzigartig, mit eigenen Wesensmerkmalen. Die Frage ist, was wir daraus machen. Placida Viel kann uns in dieser Hinsicht ein Vorbild sein.
Da, wo wir hineingeboren werden, leben und aufwachsen, werden die ersten Weichen für unser weiteres Leben gestellt. Jedem Kind ist zu wünschen, dass es in einer sicheren Umgebung aufwächst, dass es Liebe, Zuneigung und Wärme erfährt, um sich entfalten zu können. In der Geborgenheit der Familie kann es die ersten Schritte ins Leben wagen.
Wir alle sind und werden durch das Leben geformt: durch die Menschen, denen wir begegnen, durch das Leben, so wie es sich vor uns ausstreckt, durch die Umstände, auf die wir keinen Einfluss haben. Aber im Gehen unseres Weges nehmen wir immer mehr Verantwortung auf uns. Wir lösen uns vom Elternhaus und gestalten unseren eigenen Weg, fallen und stehen wieder auf.
Auch Placida Viel ist ihren Weg gegangen. Von ihr wird gesagt, dass sie schüchtern und zurückhaltend war. Also eher in sich gekehrt und nicht gerade die erste Geige spielend. Im Gegenteil. Schüchterne Menschen reagieren in der Begegnung mit Fremden oft verunsichert. Doch war es ihre Familie, eine Großfamilie, in der sie schon als Kind lernte, zuzupacken und für andere da zu sein. Sie scheute sich nicht, mit 18 Jahren in die Ordensgemeinschaft der „Armen Töchter der Barmherzigkeit“ einzutreten.
Vertrauen schenken
Ihrem Charakter scheint das zu entsprechen. Und dennoch lernt sie hier eine neue und ungeahnte Seite von sich selbst kennen. Das geschieht, weil Menschen auf ihren Weg kommen, die mehr in ihr sehen als sie es selbst tut, die ihr Vertrauen schenken und sie ermutigen.
Auch Maria Magdalena Postel, damals Leiterin der Gemeinschaft, sieht offenbar mehr in Placida als es der erste Eindruck vermuten lässt. Sie sieht nicht die Unsicherheit und Ängstlichkeit, die man Placida nachsagt. Sie schenkt ihr Vertrauen und fordert sie heraus.
Schon als junge Schwester legt Placida ihre Scheu zur Seite und übernimmt verantwortungsvolle Aufgaben. Sie hat sie nicht gesucht. Sie kreuzten ihren Weg und Placida hat sie angenommen. Wie es ihr damit ergangen ist, können wir nur erahnen. Jedoch nimmt Placida damit eine erste große Hürde.
Gottvertrauen haben
Wie kommt sie dazu? Sie lebt aus einem großen Gottvertrauen, weiß das „Gott sorgt“, weiß jedoch auch, dass sie die Hände dabei nicht in den Schoß legen darf, sondern das Ihrige beitragen muss.
Sie geht noch weiter. Obwohl ihr das Herz beinahe bis in die Füße gerutscht sein muss, verlässt sie den sicheren Ort der Abtei, um Geld für den Wiederaufbau der Abteiruine zu sammeln. Sie verlässt die ländliche Umgebung und begibt sich in die Fremde der Pariser Großstadt, später sogar in das benachbarte Ausland Österreich und Deutschland. Dort spricht sie bei sehr hohen Persönlichkeiten vor.
Dies alles tut sie für die Gemeinschaft. Was ihre eigene Person betrifft, stellt sie hinten an. Wenn es um die Belange der Gemeinschaft geht, darf sich ihr niemand in den Weg stellen. So leitet sie die aufblühende Kongregation der Schwestern schlicht und selbstlos, aber auch entschieden und verantwortungsvoll.
Ihr Leben ermutigt uns, nicht bei den eigenen Schwächen stehen zu bleiben, sondern die Herausforderungen des Lebens anzunehmen.
Stichwort Placida-Jahr:
Die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel gedenken von September 2015 bis September 2016 der Gründerin ihrer deutschen Kongregation, Schwester Placida Viel. Schwester Placida war die zweite Generaloberin der französischen Gemeinschaft und kleidete 1862 vier Lehrerinnen in Heiligenstadt ein. Seit 1920 ist der daraus entstandene deutsche Ordenszweig eigenständig. Schwester Placida wurde als Victoria Viel am 26. September 1815 – also vor 200 Jahren – geboren.