Das Leben des Paralympics-Stars Gerd Schönfelder beeindruckt 200 Zuhörer
„Lass Dich nicht aus der Bahn werfen“, riet der vielfache Paralympics-Sieger Gerd Schönfelder den 200 Besuchern am Karfreitag-Abend in der Dreifaltigkeitskirche des Bergklosters Bestwig. Ein bemerkenswertes Lebensmotto für einen Mann, den ein Zug über den Bahnsteig schleifte, ehe er ihm den rechten Arm und vier Finger der linken Hand abriss.
22 Medaillen hat Gerd Schönfelder später bei den Winter-Paralympics zwischen 1992 und 2010 gewonnen. Dazu kamen bis zum Ende seiner sportlichen Karriere zwölf Weltmeister-Titel bei den Wettbewerbern der Behinderten. „Dabei fühle ich mich gar nicht behindert“, sagt der 43-Jährige – „es sieht eben nur so aus.“ Behindert sei nur der, der sich einschränken ließe oder eingeschränkt bleiben müsse.
Schwester Maria Ignatia Langela hatte Gerd Schönfelder als Teilnehmerin einer Podiumsdiskussion in Bad Sooden-Allendorf kennengelernt. Schon da hatte sie sein Lebenszeugnis so beeindruckt, dass sie ihn zu einem Vortrag ins Bergkloster einlud. „Die Tage von Karfreitag bis Ostern sind eine Zeit der verklärten Wunden“, erklärte sie zur Begrüßung. „Jeder Mensch hat Wunden. Diese Wunden müssen wir in unser Leben integrieren. Sie haben uns zu dem gemacht, was wir sind.“
Das geht auch Gerd Schönfelder so. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern meint, dass es vielleicht so kommen musste. Schon als der Elektrotechniker und ambitionierte Sportler nach dem Unfall und der Amputation seines Armes an jenem 11. September 1989 wieder im Krankenhaus aufwachte, habe ihm viel daran gelegen, kein Mitleid aufkommen zu lassen: „Ich hatte doch Glück, nicht gestorben zu sein.“
Sekunden waren entscheidend
Ein Freud hatte Gerd Schönfelder nach der Arbeit mit zum Nürnberger Bahnhof genommen, von wo aus er wieder in den Ort Kulmain nach Hause wollte. Zehn Sekunden früher hätte er den Zug erreicht. Zehn Sekunden später wäre er weg gewesen: „Doch als der Zug gerade anfuhr, habe ich noch versucht, den Arm in die Tür zu klemmen und mich mit Tasche und Jacke in der anderen Hand hineinzuwinden.“ So nahm das Schicksal seinen Lauf.
„Meine Familie, meine Freunde und mein Glaube haben mir geholfen, aus dem Loch danach wieder herauszukommen“, erklärte Gerd Schönfelder den 200 Zuhörern.
In den ersten Tagen war es schlimm, nicht selbst essen zu können: „Wie sollte das jemals mit einem verbleibenden Finger wieder gehen?“ Aber dann hätte ihm ein Freund geholfen, in den Gips ein Loch zu bohren, so dass die Gabel darin hielt. „Und so gab es immer wieder kleine Erfolge, die mir zeigten, dass es weitergeht.“
In der Reha habe man ihm eröffnet, dass es möglich sei, einen Zeh an die Hand zu verpflanzen, damit er wieder greifen könne. Erneut ein Hoffnungszeichen. Diese Operation verlief wenige Monate später erfolgreich. „Und eine funktionslose Armprothese half mir, mich wieder nach draußen zu trauen. Ich wollte zuerst nicht, dass mich jeder anstarrt.“
So verließ er zur Christmette 1989 erstmals das Haus: „Da war ich einerseits glücklich, aber auch irgendwie traurig. Alles schien so wie immer. Nur ich nicht.“
Zufall oder Fügung?
Bei seiner Großmutter habe er kurz darauf in der Zeitung gelesen, dass es eine Behinderten-Nationalmannschaft der Wintersportler gibt. Auf einmal hatte Schönfelder ein neues Ziel. Und als ihn Freunde wenig später mit auf eine Skifreizeit nahmen, stellte eine Bekannte den Kontakt zu dem Physiotherapeuten dieser Nationalmannschaft her. „Waren das Zufälle oder Fügungen?“, fragt der Sportler nachdenklich.
Dass Freunde meinten, er müsse sich nun einen neuen Beruf und andere Hobbys suchen, habe ihn zusätzlich angespornt. So erkämpfte sich der Sportler in seiner Fußballmannschaft wieder einen Stammplatz. Und so gelangte er tatsächlich in den nationalen Kader der behinderten Wintersportler: „Als ich die kennenlernte, dachte ich sofort: Das ist das Richtige für mich. Ich war erstmals unter Behinderten: Amputierte wie ich, Rollstuhlfahrer, Contergan-Geschädigte. Und doch spielten unsere Handycaps hier gar keine Rolle. Alle waren positiv drauf.“
Kulmain in der Tagesschau
Schon bei seinen ersten Paralympics in Albertville 1992 gewann Gerd Schönfelder dreimal Gold: „Ich hatte mich riesig gefreut, aber nicht geahnt, was zu Haus abging. Kulmain war auf einmal in der Tagesschau. Und als ich nachts um eins wieder in der Heimat eintraf, wurde ich von Hundertschaften empfangen. Selbst der Weihbischof war dabei.“
Zwei Jahrzehnte lang sollte er so erfolgreich bleiben. Und auch für die Zeit danach hat Gerd Schönfelder neue Aufgaben gefunden. Zum Beispiel testet er für einen Autohersteller Fahrzeuge, die für Behinderte umgebaut werden. Und natürlich setzt er sich als Trainer, Sportbotschafter und Kommunalpolitiker für die Belange der Behinderten ein. Eine Karriere, die beeindruckt.
Seinen Humor hat Gerd Schönfelder dabei nie verloren. Der zeigte sich auch in der Bemerkung, mit der er seinen Vortrag abschloss: „Der Unfall war meine zweite Chance. Denn um als Nichtbehinderter Leistungssportler zu werden, war der Zug damals für mich eigentlich schon abgefahren.“