Ordensfrau hat in Leme auch mit 87 noch Sprechstunde
Während in Brasilien der Confederations-Cup als Test für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 läuft, nutzen die Menschen des südamerikanischen Landes die Aufmerksamkeit und gehen gegen die soziale Ungerechtigkeit auf die Straße. Brasilien boomt, jedoch klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Schwester Maria Ludwigis Bilo arbeitet seit 55 Jahren in dem Land. Auch mit 87 Jahren hat sie für die Probleme der Menschen immer noch ein offenes Ohr.
Täglich kommen bis zu 30 Männer und Frauen zu ihr. In dem kleinen Büro an einer belebten Straße in Leme hört sich Schwester Maria Ludwigis morgens und nachmittags ihre oft komplizierten Lebensgeschichten, Leiden oder Fragen an. Und sie versucht zu helfen, wann immer es geht. „Nein. Ich habe die Nase nicht voll. Würden Sie denn Ihre Frau oder Ihren Mann nach 55 Jahren Ehe sitzen lassen?“, fragt sie verschmitzt. Ihre Berufung kennt keine Altersgrenze.
In der Stadt eine Institution
Schwester Maria Ludwigis Bilo ist in der 100.000 Einwohner-Stadt eine Institution. 1958 kam sie auf eigenen Wunsch nach Südamerika. Hier leitete sie die Kindertagesstätte „Sagrada Familia“, die 1962 von Schwester Eduarda Schäfers gegründet worden war. Über 200 Jungen und Mädchen gehen hier täglich ein und aus. Inzwischen gibt es dort auch Fortbildungen für ihre Eltern.
„Ich bin sicher nicht für alles eine Expertin. Aber wichtig ist es erst einmal, den Menschen zuzuhören. Vielen ist schon dadurch geholfen, dass sie sich der Hektik und des Drucks in meinem Büro für eine kurze Zeit entziehen können“, sagt die Missionarin.
Probleme mit Drogen und Alkohol
Immer häufiger werden den Kindern und Jugendlichen Drogen angeboten. Sie arbeiten als Kuriere – und die Versuchung ist groß, auch selbst einmal Modedrogen wie Crack zu probieren. „Nach drei oder vier Tabletten sind sie dann abhängig“, weiß Schwester Maria Ludwigis.
Ein anders Problem ist der Alkohol. „Oft kommen junge Menschen zu mir, die von einem Elternteil verlassen wurden und deren anderer abhängig ist. Was müssen diese Kinder und Jugendliche über Jahre ertragen?“
Die aktuellen Probleme in der Landwirtschaft verschärfen die Probleme. „Die Baumwollernte ist quasi ausgefallen. Das entzieht vielen die Lebensgrundlage. Denn die Arbeiter werden ausschließlich nach Leistung bezahlt“, erläutert Schwester Maria Ludwigis. Daraufhin wurden die Apfelsinen vorsorglich mit Chemikalien behandelt, so dass sie die Amerikaner als größter Importeur nicht mehr abnehmen. „Das ist eine Katastrophe. Jetzt werden die Orangen LKW-weise auf die Deponien gefahren.“
Reich an Korruption
Brasilien sei ein schwer zu durchschauendes Land. Reich an Ressourcen, aber ebenso reich an Korruption. „Unsere neue Präsidentin Dilma Roussef ergreift Initiativen. Aber es wird dauern, bis sie etwas bewirken“, meint die Missionarin, die das Land seit über einem halben Jahrhundert gut kennt. Es bleibt die Frage, was wirklich bei den Menschen ankommt. Und ob die Programme das bewirken, was sie sollen.
Eine solche Initiative ist das Bauprogramm für Familien. 257 Häuser wurden am Stadtrand von Leme neu errichtet. Nur 41 Quadratmeter groß, da sie bis zu dieser Größe von vielen Steuern befreit sind. Die Ordensfrau erklärt: „Die kosten 30.000 Reais, umgerechnet etwa 11.300 Euro, und mindestens 7.000 Reais müssen angezahlt werden. Das ist ein faires Angebot. Aber trotzdem geraten durch den Kauf eines solchen Hauses viele in die Schuldenfalle. Sie müssen viele Jahre abbezahlen, und wenn dann eine weitere Belastung oder ausgefallene Verdienste dazukommen, wissen die Familien nicht mehr wohin.“
Bildung hilft, Armut zu überwinden
Im Zweifelsfall sitzen sie dann in dem kleinen Büro von Schwester Maria Ludwigis. Wie die Drogenabhängigen, die Einsamen, die Verlassenen auch. Und sie hilft. Dank der Spenden aus Deutschland, einer Sozialarbeiterin und eines Unterstützerkreises von sechs brasilianischen Lehrerinnen, die Kontakte herstellen und zum Beispiel Baumaterial sammeln. Zudem gibt es viele Menschen, die Kleidung und Lebensmittel organisieren.
Eins ist Schwester Maria Ludwigis in Brasilien bewusst geworden: Wie wichtig Bildung ist, um Armut zu überwinden. Hier setzt die Arbeit der brasilianischen Schwestern und ihrer Mitarbeiter an. Es freut sie besonders, wenn ehemalige Kindergartenkinder erzählen, dass sie Familie und ein sicheres Einkommen haben. „Schon in der Creche wurde dafür die Basis gelegt“, ist die Missionarin überzeugt.
Deshalb initiierte sie Fortbildungen für die Eltern. Deshalb organisierte sie Capoeira-Tanzkurse in den armen Randbezirken der Stadt. Und deshalb sitzt sie auch heute noch in ihrem Büro.
Den kompletten Bericht und weitere Artikel zur weltweiten Arbeit der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel lesen Sie im neuen Proprium des Magazins kontinente.