Daniel Bahr beeindruckt vom Miteinander und von der Integration im Stadtteil
Dass die Pflegekassen das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz aushebeln, ärgert den Bundesgesundheitsminister. „Wenn das auch Ihre Erfahrung ist, müssen wir mit den Kassen reden“, erklärt Daniel Bahr beim Besuch des St. Franziskus-Hauses am Montagnachmittag in Oelde. Wieder einmal wird in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft Politik gemacht.
Erst vor drei Wochen besuchte die nordrhein-westfälische Pflegeministerin Barbara Steffens (Grüne) die innovative Einrichtung für 24 Mieter. Jetzt also Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), den Hausmanagerin Annette Longinus-Nordhorn ebenfalls zu einem Besuch der innovativen Wohnform im Alter eingeladen hat. Das nahm er gerne an.
Lebendiger Bestandteil von Oelde
„Ich bin sehr beeindruckt von diesem Haus und freue mich vor allem, dass es so gut in den Stadtteil integriert ist“, betont der 36-Jährige, als er nach einem kurzen Rundgang an der Kaffeetafel mit Mietern, Mitarbeitern und politischen Gästen Platz nimmt. Darunter auch Oeldes Bürgermeister Karl-Friedrich Knop. Unter der Isolation hätten viele neue und noch so schöne Senioren-Einrichtungen zu leiden, fügt Daniel Bahr an. „Hier gehört die Offenheit von Anfang an mit zum Konzept“, entgegnet Andrea Starkgraff, Geschäftsfeldleiterin der Seniorenhilfe SMMP.
Verunsicherung schaffe zurzeit aber das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz: Das stellt den Kunden ambulanter Pflegedienste seit Anfang des Jahres frei, die Leistungen nach einem festen Punktesystem oder auf Stundenbasis einzukaufen. Als Stundensätze haben die Kassen allerdings Preise festgelegt, die eine Einrichtung, die ihre Mitarbeiter tariflich bezahlt, nicht anbieten kann.
Wohngemeinschaft jetzt etabliert
„Wir prüfen im Moment die Ausweitung unserer ambulanten Dienste in der Seniorenhilfe. Aber auf dieser Basis ist das nicht möglich“, macht Stefan Mühlenbeck, Regionalleiter der Seniorenhilfe SMMP im nördlichen Ruhrgebiet, dem Gesundheitsminister klar. Der verspricht: „Mit diesem Gesetz wollten wir die strengen Korsetts auflösen, die Pauschalleistungen Cent-genau in Punkte umrechnen. Doch wenn die Kassen die Alternativen torpedieren, muss das noch einmal auf die Tagesordnung.“ Auch das St. Franziskus-Haus ist von dem Gesetz betroffen. Denn hier sind die Bewohner Mieter, die ambulante Dienstleistungen zusätzlich einkaufen.
Daniel Bahr liegt viel an dieser Wohnform für Menschen im Alter: „Vor einigen Jahren bin noch dafür kritisiert worden, wenn ich mich für Wohngemeinschaften stark gemacht habe. Doch wir müssen mehr Angebote für Menschen schaffen, die zu Hause nicht mehr alleine leben können, aber andererseits nicht gleich in ein Heim müssen.“
„Nicht nur Übergangslösung“
Hausmanagerin Annette Longinus-Nordhorn betrachtet die Wohngemeinschaft dabei weniger als Übergangslösung: „Es ist von vornherein ein alternatives Angebot zum Heim. Für Menschen, die mehr soziale Anbindung suchen. Hier bleiben sie dann bis zuletzt. Auch bei uns gehen viele Lebenswege zu Ende.“
Die Bereitschaft der Mieter, sich auf dieses Modell einzulassen, bringe zudem ein gutes Verhältnis zu den Angehörigen mit sich: „In einer stationären Einrichtung geben viele ihre Verantwortung für die Eltern, die Tante oder den Onkel mit ab. Das ist bei uns anders. Hier machen alle mit“ Vielleicht auch deshalb, weil die Senioren-WG familiärer und überschaubarer sei. Die Türen der Schlafzimmer öffnen sich direkt zum Wohnzimmer oder zum Küchenbereich.
„Zweimal Zwölf ist optimal“
„Und wieso kamen sie gerade auf zweimal zwölf Bewohner?“, fragt der Gesundheitsminister interessiert nach. Stefan Mühlenbeck erklärt: „Wir brauchen eine gewisse Größe, damit unsere Preise nicht über denen einer stationären Einrichtung liegen. Andererseits darf eine WG nicht zu groß werden. Da waren zweimal zwölf Mieter auf den beiden Etagen für uns die optimale Größe.“
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ebenfalls eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie begleiten die Senioren sogar einmal im Jahr für eine Woche mit in den Urlaub und investieren dafür freie Tage. Zurzeit gehören noch drei Langzeitpraktikantinnen mit zum Team. „Das ist gut so. Denn Pflegekräfte werden dringend gesucht. In welcher Branche hat man noch so gute Zukunftsaussichten?“, macht Daniel Bahr den Schülerinnen Mut.
Mitarbeiter-Personalreport überreicht
Um Menschen für diesen Beruf zu begeistern, hat das St. Franziskus-Haus wie die anderen Senioren-Einrichtungen der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel im Rahmen des Bundesprogramms „Rückenwind – Für die Berufe in der Sozialwirtschaft“ einen Personal-Report herausgebracht. „Darin schildern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Hauses ihren beruflichen Alltag. Persönlich und ehrlich“, erklärt Geschäftsfeldleiterin Andrea Starkgraff, als sie dem Minister ein Exemplar überreicht. Die Vielseitigkeit der Pflegeberufe werde darin eindrucksvoll dokumentiert.
Auch die Erfahrungen mit demenziell veränderten Menschen, deren Anteil im St. Franziskus-Haus wie in allen Senioren-Einrichtungen steigt. „An diesem Trend können Forschung und Medikamente auf absehbare Zeit nichts ändern“, stellt Daniel Bahr klar. Die Wahrscheinlichkeit, ab dem 80. Lebensjahr an Demenz zu erkranken, liege weiter bei 30 Prozent – „allerdings werden immer mehr Menschen 80 und älter.“
„Die Augen nicht verschließen“
Das St. Franziskus-Haus, das schon als Neubau auf diese Bedürfnisse hin konzipiert wurde, biete dafür ein optimales Umfeld. „Und wichtig ist, dass solche Einrichtungen nicht isoliert sind. Wir dürfen die Augen vor der gesellschaftlichen Entwicklung nicht verschließen. Die fordert uns alle“, mahnt Bahr von Oelde aus in die Republik. Das St. Franziskus-Haus sei dafür ein leuchtendes Vorbild.