Große Jubilarfeier der Ordensschwestern im Bergkloster Bestwig
„Ich weiß noch genau, wie wir damals über die russischen Barrikaden in die Ostzone eingedrungen sind“, erzählt Schwester Maria Gemma Büter. Die meisten Menschen flüchteten nach dem Zweiten Weltkrieg in die entgegengesetzte Richtung. Doch die heute 87-Jährige wollte im Dezember 1945 unbedingt ins thüringische Heiligenstadt: Dort begann sie vor 60 Jahren ihr Noviziat als Ordensfrau bei den Heiligenstädter Schulschwestern, den heutigen Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel. Vier Jahrzehnte lang war Schwester Maria Gemma in Brasilien in der Missionsarbeit tätig. Heute verbringt sie ihren Lebensabend im Bergkloster Bestwig. Und dort feierte sie am Samstag zusammen mit über 30 weiteren Schwestern ihr persönliches Ordensjubiläum.
Abenteuerliche und ungewöhnliche Geschichten wissen alle alten Ordensschwestern zu erzählen. 34 von ihnen gehören der Gemeinschaft bereits seit 50, 60, 65, 70 und sogar 75 Jahren an. Drei weitere Schwestern blicken auf 25 Jahre Zugehörigkeit zurück.
Nationalsozialismus, DDR und Wiedervereinigung erlebt
Generaloberin Schwester Aloisia Höing warf bei dem kleinen Festakt im Großen Saal des Bergklosters einen Blick auf die vergangenen siebeneinhalb Jahrzehnte, die die ältesten Jubilarinnen miterlebt hatten: von der Gründung der ersten Niederlassungen in Brasilien 1936 über die Zeit des Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg, der Seligsprechung Schwester Placidas 1951, dem Mauerbau 1961, das Zweite Vatikanische Konzil – bis hin zum Mauerfall 1989 und der Zurückverlegung des Generalats im Jahr 2003: „Viele von uns kennen die weiter zurückliegenden Ereignisse nur aus Geschichtsbüchern. Sie haben sie zum Teil miterlebt.“ Auch in schwierigen Situationen hätten sich die Jubilarinnen immer von Gottes Hand geborgen gewusst: „Das Lob Gottes und der Dienst am Menschen gehörte für Sie immer zusammen. Dafür gebührt Ihnen unser aller Dank.“
Zuvor hatte Pater Maurus Runge von der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede in der Predigt des Festgottesdienstes betont, dass es in einer solch langen Zeit auch Mentorinnen und Mentoren bedarf: „Sie alle werden solche Menschen gekannt haben. Und irgendwann sind Sie selbst für andere Schwestern zu Wegbegleiterinnen geworden.“
Wie Schwester Gertraude Brinkmöller. Sie lebt im Bergkloster Heiligenstadt, gehört der Gemeinschaft seit 75 Jahren an und erledigt heute immer noch Schreib- und Archivierungsarbeiten. Als Provinzökonomin erlebte sie in Heiligenstadt vier Währungen, den Zweiten Weltkrieg, die DDR und den Fall der Mauer: „Dass ich noch erleben durfte, wie nach Nazi-Regime und DDR-Diktatur die Ordensschule hier wieder neu aufgebaut wurde, ist für mich eins der größten Geschenke.“
„In Brasilien ist die Kirche schon weiter als hier“
Schwester Maria Gemma gehört zu den 19 Schwestern, die bereits auf 60 Jahre Ordensleben zurückblicken können. „Von Anfang an wollte ich in die Mission. Es hat ein paar Jahre gedauert, aber 1967 durfte ich schließlich nach Brasilien.“ Sie unterrichtete in Pomerode und half ein Bildungshaus für Exerzitien und Fortbildungen zu bewirtschaften. Schließlich kümmerte sie sich in Sao Paulo gemeinsam mit anderen Ordensschwestern um alte, vereinsamte und verarmte Menschen. Doch hat Schwester Maria Gemma in Brasilien auch viel gelernt: „Dort sind die Basisgemeinden längst nicht mehr vom Priester abhängig. Sie organisieren sich selbst. Da werden wir auch hinkommen, und zwar schon sehr bald – vielleicht geht die Kirche dann endlich wieder mehr auf die Menschen zu.“
Ebenfalls seit 60 Jahren gehört Schwester Maria Pia Hinse der Gemeinschaft an. Sie leitete 19 Jahre lang die Eichsfelder Provinz. Als gebürtige Hertenerin wurde sie in den 50er Jahren nach Heiligenstadt geholt, um dort fast 1.000 Kinder im Gemeindezentrum in Religion zu unterrichten: „An den Schulen fand dieses Fach ja nicht mehr statt.“ Dann übernahm sie das Noviziat und wurde schließlich Provinzoberin: „Die Stasi hatte gegenüber des Bergklosters ein Büro. Von da aus wurde ich immer beobachtet“, weiß sie noch genau.
In der DDR war der Ordenseintritt auch eine politische Aussage
Erfahrungen mit dem DDR-Regime hat auch Schwester Johanna Hentrich gemacht. Die gebürtige Eichsfelderin gehört zu den drei Silberjubilarinnen. „Als ich 1986 in Heiligenstadt in eine Ordensgemeinschaft eintrat, war das nicht nur eine Lebensentscheidung, sondern zugleich eine politische Aussage.“ Die angehende Musiklehrerin war mit der Ideologie des Systems immer mehr in Konflikt geraten und gab ihren Wunschberuf Lehrerin mit dem Noviziat vorerst auf. Heute ist sie wieder als Lehrerin tätig: Nach der Beendigung ihres Studiums an der Universität Münster unterrichtet sie nunmehr Geschichte und Religion am Walburgisgymnasium in Menden.
Sie gehört aber zum Konvent in Bestwig, wo sie zusammen mit Schwester Laetitia Müller das Angebot Kloster auf Zeit betreut: „Ich empfinde mein Dasein als Ordensschwester nicht einengend. Im Gegenteil: Ich finde, dass sich mir im Kloster immer wieder neue Räume geöffnet haben.“ So sei sie hier vor Entscheidungen gestellt worden, denen sie sonst vielleicht ausgewichen sei. „Heute bin ich glücklich mit meinem Leben, wie es sich gefügt hat“, sagt die 47-Jährige. Davon will sie auch andere junge Frauen überzeugen, die das Angebot Kloster auf Zeit immer wieder annehmen.
Alle Jubilarinnen im Überblick:
75 Jahre Ordensleben
aus Heiligenstadt: Sr. Gertraude Brinkmöller; aus Bestwig: Sr. Irmenfrid Stieldorf und Sr. Winfrid Martinschledde; aus Vleuten/Niederlande: Sr. Maria Venhorst;
65 Jahre Ordensleben
Aus Bestwig: Sr. Irene Pape und Sr. M. Gemma Büter;
60 Jahre Ordensleben
Aus Heiligenstadt: Sr. Alberta Maria Jung, Sr. Gertrudis Maria Lendeckel, Sr. Gertrudis Maria Lendeckel, Sr. Maria Asunta Wilbrand, Sr. Maria Pia Hinse und Sr. Paula Koch; aus Bestwig: Sr. Maria Angelina Beck, Sr. M. Waltraud Goedecke, Sr. Petra Maria Wagner, Sr. Rudolpha Maira Lachmuth und Sr. Wiltrudis Sander;
aus Diestedde: Sr. Aloisi Schlautmann, Sr. Ancilla Placida Groß und Sr. Maria Cleta Möcklinghoff;
aus Gelsenkirchen-Resse: Sr. Anna Bernadette Ruhnke; aus Bottrop-Grafenwald: Sr. Edmunda Schneider; aus Herten-Westerholt: Sr. Maria Crescentia Boyert, aus Goch-Pfalzdorf: Sr. M. Hermine Wolbers; aus Vleuten/Niederlande: Sr. Maria Elisabeth Kosterman; aus Tarija/Bolivien: Sr. Maria Plácida Garrón;
50 Jahre Ordensleben
aus Bestwig: Sr. Maria Brigitta Westerkofort; aus Geseke: Sr. Maria Wensing; aus Herten: Sr. Adelheid Maria Lünne; aus Nordkirchen: Sr. Philothea Böing; aus Vleuten/Niederlande: Sr. Laetitia Kok; aus Cochabamba/Bolivien: Sr. Cecilia Maria Gutiérrez und Sr. Cristina Maria Salazar; aus Leme/Brasilien: Sr. Anna
Pereira; und aus Sao Paulo/Brasilien: Sr. Lúcia Hobold;
25 Jahre Ordensleben
Aus Bestwig: Sr. Johanna Hentrich, aus Berlin: Sr. Petra Stelzner; aus Rothenburg-Lispenhausen: Sr. Regina Maria Walter;