
Hoch oben auf einer Verkehrsampel entdecke ich sie, nahe dem Recklinghäuser Busbahnhof. Ich warte auf einen Bus, als mir ihre wiederholten Laute ans Ohr kommen. Sie scheint etwas mitzuteilen. Der Amselsprache nicht mächtig, kann ich ihre Nachricht nicht verstehen. Dennoch spricht sie auf ihre Weise zu mir. Als ich sie beobachte, durchfährt mich, wie Vögel und andere Tiere, auch Pflanzen, lernen müssen, sich zurechtzufinden in einer auf uns Menschen hin gestalteten Welt.
Manche Tiere zeigen sich als „Kulturfolger“ erstaunlich findig, um in dieser Welt zurechtzukommen, die so anders ist als ihr natürlicher Lebensraum. Andere sind in ihren Lebensgrundlagen bedroht. Vögel lassen sich auf Ampelmasten statt auf Bäumen nieder, suchen in unseren Städten Wasserstellen und Nahrung. Dabei ist für sie nicht immer gesund, was wir Menschen auf Gehsteigen an Essensresten hinterlassen. Lichtverschmutzung und fehlende Rückzugsräume schränken ihren Lebensraum ein.
Während ich der Amsel zuschaue, denke ich an den Sonnengesang des heiligen Franziskus. Vor 800 Jahren hat er ihn gedichtet. Da war er erblindet und litt unter einer schmerzhaften Augenerkrankung. Das innere Sehen des Heiligen aus Assisi scheint jedoch bis heute im Sonnengesang durch. „Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen!“, betet Franziskus. Da erlebt sich ein Mensch als Teil der Schöpfung. Mit Achtung, Demut und Zärtlichkeit begegnet Franz von Assisi seiner Mitwelt und redet sie als Geschwister an. „Gelobt seist du, mein Herr“: durch Schwester Wasser, durch Bruder Feuer, durch Mutter Erde.
Die Amsel schenkt mir einen besonderen Augenblick des Innewerdens, dass wir zusammengehören: Menschen, Tiere, Pflanzen. Dann fliegt sie davon. Nachdenklich bleibe ich zurück. Wenig später kommt mein Bus. Statt des nicht gemachten Fotos bleibt ein Bild von Erhabenheit dieser Amsel in mir.
Für diesen Sommer wünsche ich Ihnen ähnliche Momente, in denen Sie den Einklang zwischen allen Geschöpfen erspüren!
Schwester Klara Maria Breuer SMMP