Das Forum Weltkirche diskutierte im Bergkloster Bestwig das langwierige und doch unerlässliche Bemühen um Frieden
Die Sehnsucht nach Frieden ist vor dem Advent angesichts des Krieges in der Ukraine dieses Jahr besonders groß. Doch was können wir selbst dafür tun? Wie leisten Hilfsorganisationen Friedensarbeit? Was können wir von ihnen lernen? Um diese Fragen ging es beim Forum Weltkirche am Donnerstagabend im Bergkloster Bestwig.
Die Hauptreferentin Dr. Friederike Repnik von Agiamondo, dem Fach- und Entsendungsdienst der deutschen Katholiken für internationale Zusammenarbeit, machte deutlich, dass es für Friedensarbeit keinen Masterplan gibt: „Die Erfahrungen mit Gewalt sind immer komplex und kontextuell.“ Diese Prozesse benötigen Multiperspektivität, die Einbeziehung von Opfern, Täterinnen und Tätern sowie Zuschauerinnen und Zuschaern, viel Sensibilität und einen langen Atem.“ Den würden vor allem kirchliche Organisationen in vielen Krisenregionen beweisen.
„Im Mittelpunkt dieses Engagements steht die Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit. Dazu gehören auch spirituelle und psychosoziale Begleitung, die akademische Arbeit und das Empowerment“, stellte Friederike Repnik die Schwerpunkte von Agiamondo vor. Dabei beginne die Erinnerungsarbeit schon dann, während die Gewalt noch virulent ist: „Es ist wichtig, dann an der Seite der Opfer zu sein und die Gewalt zu dokumentieren.“ Als Beraterin für Agiamondo in den Themenfeldern Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und Versöhnung ist Friederike Repnik selbst regelmäßig in den Projektländern unterwegs und tauscht mit den Partnern vor Ort Erfahrungen aus.
Die Tiefe der Verletzungen wahrnehmen
So zum Beispiel im Südsudan: Als dort im Bürgerkrieg die Gewalt ihren Höhepunkt fand, haben internationale Akteure vermehrt das Land verlassen, staatliche Akteure haben oft Gewalt ausgeübt. „Doch kirchliche Akteure sind geblieben. Daran erinnern sich sie Menschen heute noch.“ Ähnlich in Kolumbien, wo es 50 Jahre lang bewaffnete Konflike zwischen Regierung und Guerillas gab: „Zu den Friedensverhandlungen zwischen Regierung und der Guerillabewegung in Havanna wurden auch Opfergruppen eingeladen, um von ihren Erfahrungen zu erzählen. Nur so war es möglich, die Tiefe der Verletzungen wahrzunehmen und zu begreifen.“
Die NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und die Kirchen hätten durch ihre kontinuierliche Arbeit oft ganz andere Zugänge zu den Menschen. „Daher ist ihre Beteiligung an Friedensprozessen unabdingbar“, so Friederike Repnik. Sie gäben den Schwächsten der Gesellschaft, den Opfern, eine Stimme. Doch zugleich sei es wichtig, die politischen Akteure und Gewalttäter in den Friedensprozess einzubinden, wie es bei der Friedenskonferenz in Havanna der Fall war: „Wenn wir von einem Dialog sprechen, benötigen wir alle Sichtweisen. Es braucht einen multiperspektivischen Ansatz.“
Ebenso wichtig sei es, darüber mit allen Generationen ins Gespräch zu kommen. Darüber berichtete Martina Richard, Koordinatorin der Projekte für Agiamondo in Zentralamerika. In Guatemala läge der Genozid im eigenen Land schon Jahrzehnte zurück. „Doch er traumatisiert die Bevölkerung bis heute. Und es herrscht Sprachlosigkeit. Das Thema wird tabuisiert. So müssen die Jugendlichen mit dem Schweigen ihrer Eltern leben.“
Erinnerungen aufarbeiten
Hier sei es wichtig, die Erinnerungen in den Familien aufzuarbeiten. Und das versuche man in vielfältiger Weise: „Zum Beispiel hat die katholische Kirche ein Archiv der Menschenrechtsverletzungen aufgebaut. Auch haben wir einen virtuellen Platz des Gedenkens geschaffen. Denn Mahnmale, die an diesen Genozid erinnern, sind in Guatemala nicht gewollt. So aber können wir Biografien und Schicksale darstellen, uns darüber austauschen und Beziehungsarbeit leisten“, schildert die Entwicklungshelferin. Denn Friedensarbeit sei zugleich Beziehungsarbeit.
Oft könne auch die Bibel dabei helfen. „Viele Schrifttexte laden uns dazu ein, über Gewalt ins Gespräch zu kommen, ohne auf eigene Gewalterfahrungen zurückzugreifen. Das ist ein guter Weg, Sprachlosigkeit zu überwinden“, weiß Friederike Repnik.
So aktiv die Kirchen in dieser Friedensarbeit auch sind, so oft sind sie allerdings selbst in diese Konflikte verwickelt. Allein durch die Kolonialgeschichte und die Missionierungen vergangener Jahrhunderte haben sie die Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Volksgruppen häufig geschürt. „Wenn wir da glaubwürdig sein wollen, müssen wir uns ebenso der eigenen Vergangenheit stellen“, macht Repnik klar.
Identität finden
Ein gutes Beispiel dafür sei Kolumbien: Hier hat die Kirche sowohl auf Täter- als auf Opfer-Seite agiert. Vertreter der Kolumbianischen Bischofskonferenz trafen sich mit Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz, um von deren Erfahrungen im Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit zu hören und sich auszutauschen. Dabei wurde auch die Frage nach dem Umgang mit der eigenen Schuld im Konflikt thematisiert.
Doch zeigt sich auch in Deutschland, dass Erinnerungsarbeit nie endet. „Warum erreicht die AfD bei Wahlen sonst 15 Prozent? Dann wählt sie ja fast jeder siebte“, meldete sich Schwester Maria Ignatia Langela aus dem Publikum zu Wort. Frederike Repnik sieht genau darin einen Beleg, wieviel Geduld und langen Atem es brauche.
Aus eigener Erfahrung kennt sie die besonders herausfordernden und komplizierteren Bemühungen um Frieden zwischen Israel und Palästinensern: „Dort zeigt sich in besonderer Weise, dass man auch immer individuelle Strategien finden muss. Da müssen wir in sehr kleinen Schritten weitergehen. Bevor wir die Parteien zusammenbringen, geht es erst einmal darum, sich der eigenen Identität bewusst zu werden.“
Lernen, mit Wunden zu leben
Friederke Repnik mahnt dazu, als Haltung eine „aktive Geduld“ zu entwickeln. Sie erklärt: „Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Aber Heilung braucht Zeit. Und nicht alles kann geheilt werden. Aber wir können dann lernen, mit Wunden zu leben.“ Um soweit zu kommen, braucht es intensive Beziehungsarbeit: „Dabei ist die Versöhnung der handlungsleitende Horizont.“
Michael Kloppenburg vom Dekanat Hochsauerland-Mitte fragte daraufhin, woher die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen Hilfsorganisationen bei dieser langwierigen Friedensarbeit immer wieder ihre Motivation hernähmen. Bruder Augustinus Diekmann, der Leiter der Franziskanermission in Dortmund, antwortete: „Wir müssen uns an den ermutigenden Beispielen aufrichten. Wenn ich etwa am Berufskolleg in Dortmund unterrichte, erfahre ich, dass die pauschale Einordnung von Jugendlichen nicht stimmt. Viele lassen sich für solche Erinnerungsarbeit und -kultur begeistern.“
Die Augen aufhalten
Die wird auch an den SMMP-Schulen ernst genommen. Schülerinnen und Schüler aus dem Placida Viel-Berufskolleg in Menden wurden in diesem Jahr beispielsweise für ihren Einsatz bei der jährlich am 11. November ausgerichteten Gedenkveranstaltung „Augen auf“ mit dem SMMP Schulpreis für Engagement ausgezeichnet.
Dass man das Engagement in der Friedensarbeit schnell für vergebliche Liebesmühe halten könnte, sieht Bruder Augustinus selbst in Brasilien, wo er lange Zeit missionarisch tätig war – und wo die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel seit 1937 leben und arbeiten. „In diesem Jahr war ich wieder dort. Und es ist erschreckend zu sehen, wie sich das Rad unter Jair Bolsonaro so schnell wieder zurückdrehen konnte. Aber dann sage ich mir: Wir haben vielen Jugendlichen geholfen, durch schwere Zeiten zu kommen. Die Menschen werden sich daran erinnern. Es ist wichtig, ihnen Vertrauen zu schenken.“
Das eigene Verhältnis zur Gewalt erschüttert
Und immerhin habe Bolsonaro die Wahlen Ende Oktober verloren. Auch die Zwischenwahlen zum Senat und Repräsentantenhaus in Amerika sieht Bruder Augustinus als Hoffnungszeichen – vielleicht, weil sich die Menschen im entscheidenden Momenten doch erinnern und besinnen.
In der Ukraine ist das noch nicht zu sehen. Natürlich kam das Gespräch zum Thema Frieden gegen Ende des Abends auch auf diesen Krieg. Friederike Repnik bekannte: „Das hat mein Verhältnis zur Gewalt erschüttert. Zum Beispiel, was Waffenlieferungen betrifft. Ich stelle fest, dass ich auch meine eigenen Positionen überdenken muss. Das sind Fragen, die mich sehr berühren.“
Organisationen wie Renovabis seien aber schon dabei, die Partner in der Ukraine zu unterstützen.
Krieg ist in vielen Ländern Realiät
Dass solche Aufmerksamkeit und Hilfe auch anderswo in der Welt notwendig ist, hatte Missionsprokuratorin Schwester Klara Maria Breuer am Anfang des Abends betont, zu dem die Missionszentrale SMMP gemeinsam mit der Bergkloster Stiftung SMMP eingeladen hatte: „Der Krieg in der Ukraine zeigt uns, wie fragil der Frieden ist. Aber wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, in wieviel anderen Ländern Krieg, Gewalt, Flucht und Vertreibung im Alltag Realität sind, auch wenn die Medien weniger darüber berichten.“
Vor diesem Hintergrund lud Moderator Christian Maier, Missio-Referent der Abteilung Weltkirche im Erzbistum Paderborn, zum Abschluss der zweistündigen Diskussion dazu ein, das ökumenische Friedensgebet 2022 zu sprechen. Darin heißt es: „Schenke uns mutige Frauen und Männer, die die Wunden heilen, die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.“ Von dem bewegenden Einsatz einiger dieser mutigen Menschen hatten die 50 Besucherinnen und Besucher an diesem Abend gehört. Ihre Erfahrungen könnten Inspiration für alle sein.