Zurückgekehrte Missionarinnen und Missionare auf Zeit tauschen Erfahrungen aus – neue Freiwilligendienstler hoffen noch auf ihre Ausreise
„Erst wollte ich gar nicht zurück. Ich dachte: Warum? Das ist doch in ein paar Wochen überstanden. Und wenn ich einmal aus Bolivien weg bin – käme ich dann wieder hierher?“ Tobias Koonert gehört zu jenen Missionarinnen und Missionaren auf Zeit, die ihr Einsatzjahr aufgrund der Corona-Pandemie im März unvermittelt abbrechen mussten. Beim Rückkehrer-Seminar im Bergkloster Bestwig tauscht er in dieser Woche mit elf anderen Freiwilligendienstlern, die dasselbe Schicksal teilen, Erfahrungen aus. Und er weiß: „Inzwischen bin ich doch sehr froh, rechtzeitig wieder nach Deutschland geholt worden zu sein.“
Gemeinsam mit den zehn anderen jungen Erwachsenen war er im Juli 2019 im Bergkloster Heiligenstadt von den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel zu seinem einjährigen Auslandseinsatz ausgesandt worden. Doch diesmal sollte der Einsatz anders verlaufen als schon in den 22 Jahren davor.
Als die Missionarinnen und Missionare auf Zeit die Aufforderung zur Rückkehr Ende März auf der Südhalbkugel der Erde erreichte, schien sie unwirklich. „Vorher hatte ich zwar schon mitbekommen, dass in Deutschland viele Veranstaltungen abgesagt und auf die zweite Jahreshälfte verschoben werden. Aber da dachte ich zunächst: Ach, dann verpasse ich die ja gar nicht und kann nach meiner Rückkehr noch daran teilnehmen“, erinnert sich Vivian Gerick. Sie leistete ihren Einsatz in dem Kinderdorf Aldea Cristo Rey in Cochabamba in Bolivien.
Und Hannah Politowski, die ebenfalls in der Aldea arbeitete, weiß noch „dass ich zunächst froh war, in Bolivien zu sein. Hier fühlte ich mich sicherer als in Europa, wo die Pandemie schon grassierte. Aber da hatte ich mir noch nicht bewusst gemacht, was das für die kommenden Monate bedeutet.“ Eine Woche vor der Rückreise sei der Gedanke eines Abbruchs noch völlig absurd gewesen: „Bis dahin lief auch der Betrieb in dem Kinderdorf fast völlig normal.“
Auf einmal ging es ganz schnell
Auch Johanna Friedrich erinnert sich, wie sie in Metarica in Mosambik zunächst die Empfehlung erreichte, wieder nach Deutschland zurückzukehren: „Und ich sprach mich dagegen aus.“ Doch dann ging es – ebenso wie für die MaZ in Brasilien und Bolivien – auf einmal ganz schnell: „Schon einen Tag später war aus der Empfehlung des Auswärtigen Amtes eine verbindliche Aufforderung geworden. Dann machte ich mich sofort mit dem Zug auf dem Weg nach Nampula, weil dort der Flughafen ist. Der Flug war da aber noch gar nicht gebucht. Es wusste ja auch niemand, welche Maschine überhaupt fliegt.“
Ähnlich erging es Tobias Koonert in Cochabamba. „In Bolivien gab es schon früher einen Lockdown als in Deutschland. Obwohl es, als der verfügt wurde, ja gerade erst eine Handvoll bestätigter Infektionsfälle gab“, berichtet er. Das machte die Rückreise umso schwieriger: „Als wir los mussten, durfte eigentlich keiner mehr auf die Straße. Wir hatten keine Ahnung, wie wir zum Flughafen kommen.“ Wenigstens hatte er ein Schreiben der Deutschen Botschaft dabei. Schließlich bekam er noch einen Bus von Oruro nach Cochabamba. Und von dort startete eine von der Bundesregierung eingesetzte Maschine nach Deutschland.
Vivian Gerick kam die Fahrt zum Flughafen bereits unheimlich vor: „Da war zu spüren, wie ernst die Situation ist: „Normalerweise sind die Straßen in Cochabamba voller Autos. Jetzt aber fuhren wir durch eine Geisterstadt.“ Für Dana Keite, die aus ihrem Einsatz in der Stadtrandarbeit von Leme in Brasilien zurückkehrte, wurde die Bedrohung durch die Pandemie dagegen erst in Deutschland real: „In Brasilien hatte es bis zu unserer Ausreise noch gar keine Schutzmaßnahmen gegeben. Die Ordensschulen waren die ersten, die schlossen. Vielleicht, weil die Schwestern den Empfehlungen aus Deutschland folgten. Und hier musste ich auf einmal mit Mund-Nase-Maske einkaufen gehen. Das war ganz neu für mich.“
Die Leiterin des MaZ-Teams, Schwester Maria Dolores Bilo, hatte in jenen letzten März-Tagen reichlich zu tun. Wie sie heute verrät, standen täglich Telefonkonferenzen mit Behörden und Partnerorganisationen an. Die Nachrichtenlage habe sich stündlich verändert: „Drei Einsatzleistenden aus Cochabamba musste schließlich eine Schweizer Diplomatin helfen, um sie von ihren Einrichtungen zum Flughafen zu bekommen.“ Doch am 29. März konnte sie Vollzug melden: Alle von der Ordensgemeinschaft ausgesandten Missionarinnen und Missionare auf Zeit waren sicher in Deutschland angekommen. Eine dramatische Phase ging damit zu Ende.
Dramatische Entwicklung in den Einsatzländern
Seitdem hat sich die Situation in den Einsatzländern zum Teil erheblich verschlechtert. Die Bilder von Massengräbern, die vielerorts in Brasilien ausgehoben werden, gingen bereits um die Welt. „Und auch in Bolivien gibt es inzwischen so viele Corona-Tote, dass sie teilweise in Müllsäcke verpackt und zur Abholung an die Straßenränder gelegt werden“, erfuhr Schwester Maria Dolores erst vor wenigen Tagen von ihrer Mitschwester Maria Cornelia Koch. Sie leitet in Cochabamba die Kindertageseinrichtung Casa de Niños.
„Der totale Lockdown war dort einfach nicht durchzuhalten. Dann sterben die Menschen aus anderen Gründen. Aber jetzt, wo er gelockert ist, steigen die Infektionszahlen“, mutmaßt Tobias Koonert. So wie er stehen auch die meisten anderen MaZ aus dem zurückliegenden Einsatzjahr noch in Kontakt mit den Schwestern oder Mitarbeitern aus den jeweiligen Einrichtungen.
„Zunächst haben wir geprüft, ob sich ein Einsatz mit entwicklungspolitischem Hintergrund auch in Deutschland fortführen lässt“, erklärt Birgit Bagaric, die pädagogische Leiterin des MaZ-Teams. Das habe aber nicht funktioniert. „Denn auch hier in Deutschland mussten Einrichtungen, die dafür infrage gekommen wären – etwa die Manege in Berlin-Marzahn – erst einmal alle schließen. Erst recht durften sie keine Praktikanten beschäftigen.“
Trotz des verkürzten Einsatzes wird der MaZ-Dienst aber auch diesmal als Freiwilliges Soziales Jahr anerkannt, freut sich Schwester Maria Dolores Bilo. Ebenso bleiben die Verträge mit der Dachorganisation „weltwärts“, die diese Auslandseinsätze im Auftrag des Auswärtigen Amtes für viele Entsendeorganisationen koordiniert und zu großen Anteilen finanziert, bis zum vereinbarten Ende bestehen. „Das bedeutet zum Beispiel, dass der Kindergeldanspruch erhalten bleibt“, nennt Schwester Maria Dolores einen wichtigen Vorteil.
Noch viele Vorsätze gehabt
Und dennoch blieb der Einsatz der Missionarnnen und Missionare auf Zeit in vielen Fällen unvollendet. So erzählt Vivian Gerick: „Ich war erst zwei Wochen vor der plötzlichen Rückreise bei dem Zwischenseminar, wo der bisherige Einsatz reflektiert und Ziele für das zweite Halbjahr abgesteckt werden.“ In diesen Tagen habe sie viele Vorsätze gefasst: „Es gab Spiele, die ich mit den Kindern ausprobieren wollte. Orte, die ich noch sehen wollte. Kontakte, die ich intensivieren wollte. Aber daraus wurde nichts mehr.“ Auch habe es noch den Plan gegeben, im Kinderdorf Cuatro Esquinas ein Klettergerüst aufzubauen. Das steht bis heute nicht.
Johanna Friedrich war ebenfalls nicht glücklich über den Zeitpunkt ihres Einsatz-Endes: „Ich hatte mich in der Schule in Metarica gerade erst eingearbeitet. Es dauert, bis man sich dort als Deutsche einbringen kann. Und nun wollte ich erste Unterrichtskonzepte erproben.“ Außerdem war für sie noch ein Einsatz in Nametória vorgesehen: „Dort sollte ich bei den Alphabetisierungs-Kursen mithelfen. Darauf hatte ich mich schon sehr gefreut.“
Als sie und Katharina Kloß den anderen MaZ von ihrem Auslandseinsatz am Mittwochmorgen im Bergkloster Bestwig berichten, ist ihnen die Begeisterung noch anzusehen. Dabei zeigen sie unter anderem Fotos von einem Fest in der Schule: „Da haben wir Luftballons aufgeblasen und verteilt. Es war unfassbar, wie sich die Kinder darüber freuten.“
Auch für Vivian Gerick rücken die Ereignisse in den Augenblicken ihrer Präsentation wieder ganz nah: „Das war meine Klasse“, erzählt sie, als sie ein Gruppenfoto strahlender Kinder zeigt. Kurz darauf schloss die Schule. Und noch immer sei nicht absehbar, wann sie wieder öffnet.
Neue MaZ sind fertig ausgebildet
Die katastrophale Situation in Bolivien, Brasilien und Mosambik erschwert auch die Planung der nächsten MaZ-Einsätze. Acht junge Frauen und ein junger Mann hatten sich seit dem vergangenen Winter auf ihren Auslandseinsatz ab diesem Sommer vorbereitet. „Zwei nahmen bereits von ihren Plänen Abstand. Die anderen hoffen noch, dass eine spätere Ausreise möglich ist“, so Schwester Maria Dolores. Auch für den neuen Jahrgang gilt, dass ihr Einsatz als Freiwilliges Soziales Jahr anerkannt wird, selbst wenn der Auslandsaufenthalt nur ein halbes Jahr dauern sollte. Dafür würde eine Ausreise spätestens im Januar genügen. Gemeinsam stehen Schwester Maria Dolores und Birgit Bagaric mit den verbliebenen sechs Interessentinnen und Interessenten über Skype und WhatsApp im intensiven Kontakt.
Und auch für das Einsatzjahr 2021/2022 liegen schon vier Bewerbungen vor. Das findet die Leiterin des MaZ-Teams sehr erfreulich. Und sie betont: „Wir hoffen doch stark, dass wenigstens dann wieder ein reguläres Einsatzjahr möglich ist.“
Weitere Informationen zu dem Bewerbungsverfahren gibt es hier.