Diskussion beim Forum Weltkirche zeigt: Es gibt ein spirituelles Bedürfnis – und genügend Chancen, in der Kirche neues Feuer zu entfachen
„Es ist höchste Zeit für das Priestertum aller Gläubigen“ , betonte Monsignore Ullrich Auffenberg beim Forum Weltkirche am Donnerstagabend im Bergkloster Bestwig. Auch Jesus habe seine Apostel ausgesandt – ohne Theologiestudium. Und so müsse es heute noch möglich sein, sich senden zu lassen und einer Berufung zu folgen.
Mit dem Thema „Lust auf Kirche? Unter der Asche glüht ein Feuer“ , wollte die Missionszentrale der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel bewusst einen Kontrapunkt zu den Strukturdebatten und den Diskussionen zum Thema des sexuellen Missbrauchs durch Priester setzen. „Ohne diese Realitäten auszublenden, wollen wir bewusst nach Spuren und Orten fragen, die vom Feuer lebendigen Glaubens und dem Wirken des Geistes Gottes sprechen“, erklärte Schwester Klara Maria Breuer in ihrer Einführung. Das Thema brennt offenbar vielen engagierten Christen unter den Nägeln. Über 100 Besucher füllten den Kapitelsaal.
Vor mehr als 50 Jahren gab es ein solches Feuer, erinnerte Ullrich Auffenberg an das Zweite Vatikanische Konzil: „Die Nachrichten aus dem Vatikan waren für uns alle damals so spannend wie Fußball.“ Und auch der langjährigen Generaloberin der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel, Schwester Aloisia Höing, ist dieser Aufbruch noch sehr präsent: „Ich bin drei Tage vor der Eröffnung dieses Konzils in die Gemeinschaft eingetreten. Wir hatten alle das Gefühl, dass sich nun in der Kirche ganz viel bewegt. In unserer Gemeinschaft haben wir versucht, dieses Feuer zu erhalten.“
Auch die Jahre danach seien in der Kirche noch von der Euphorie dieses Konzils geprägt gewesen. Etwa die Würzburger Synode von 1971 bis 1975 mit weitreichenden Beschlüssen. Auffenberg zitierte einen jungen Tübinger Theologieprofessor, der 1970 sagte, dass die Kirche bis zum Jahr 2000 „gewiss auch neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen wird: In vielen kleineren Gemeinden bzw. zusammengehörigen sozialen Gruppen wird die normale Seelsorge auf diese Weise erfüllt werden.“ Dieses Verständnis der Sendung käme dem urchristlichen nahe, so der Seelsorger, der dann auch verriet, wer der Verfasser dieser Sätze war: der spätere Kardinal und Papst Joseph Ratzinger.
Erstarrung statt Aufbruch
Doch was ist aus all diesen Beschlüssen und Prozessen geworden? Sind sie jemals an der Basis angekommen? Diese Fragen stellte Ullrich Auffenberg in seinem Impulsreferat. 2018 habe es 260.000 Kirchensaustritte in Deutschland gegeben. „Eine Entwicklung, die nicht zu einem neuen Aufbruch, sondern eher zur Erstarrung führt“ , beobachtet der Seelsorger, der als langjähriger Jugendpfarrer und späterer Leiter der Familienbildungsstätte Elkeringhausen bis September dieses Jahres noch Referent für religiös-pastorale Bildung beim Caritas-Diözesanverband Paderborn war.
Entsetzen löse auch der sexuelle Missbrauch von Priestern an Kindern aus. Gerade das Priesteramt sei von der Amtskirche so hoch bewertet, dass es umso schwieriger sei, damit umzugehen. „Das hat sich wie Mehltau über uns gelegt.“
Dabei seien diejenigen, die die Kirche verlassen, nicht alle ungläubig, betonte Auffenberg. Immer wieder begegne er Menschen, die ein spirituelles Bedürfnis in sich tragen, ob sie sich als religiös bezeichnen oder nicht. Dafür nannte er Beispiele. Etwa das einer Frau, die ihr Kind taufen lassen wollte, obwohl sie selbst nicht getauft war: „Während der Schwangerschaft standen ihr Leben und das ihres Kindes in Gefahr. Und als Sie mir sagte ‚Dass wir noch leben muss daran liegen, dass einer von oben seine Hände im Spiel gehabt hat‘, wusste ich: Sie hat eine spirituelle Erfahrung gemacht.“ Also habe er das Kind getauft.
Aber auch im Alltag käme das spirituelle Bedürfnis von Menschen immer wieder zum Vorschein: So berichtete Ullrich Auffenberg von der Begegnung mit einer Seniorin, die sich schämte, dass ihre Haare verklebt seien: „Damit wollte Sie mir nicht sagen, dass ich ihr die Haare waschen soll. Vielmehr drückte sie ihre Traurigkeit darüber aus, dass sie nicht mehr schön ist, dass sie sich nicht helfen kann. Sie will sich definieren. Das steht ebenfalls für ein spirituelles Bedürfnis.“
Es sei wichtig, diese Bedürfnisse zu erkennen und in dieser Richtung die Türen zum Glauben zu öffnen. „Jeder Mensch spürt eine Sehnsucht danach, das eigene Ich zu übersteigen, also ein größeres Ich zu finden, dass das eigene Ich an die Hand nimmt“, ist Auffenberg überzeugt.
Suche nach einem größeren Ich
Er begründete das mit der analytischen Psychologie nach Carl Gustav Jung: Demnach wirken Körper, Geist und Psyche in jedem Menschen zusammen. „Dabei ist die Psyche der mächtigste Speicher, den wir aufladen müssen“, so Auffenberg. Der Glaube könne dabei eine große Rolle spielen. Eine Seniorin, die orientierungslos sei, finde beim Beten des Rosenkranzes etwa wieder Halt. Der Psychiater Carl Gustav Jung sagt: „Keiner ist wirklich geheilt, bevor er seine religiöse Einstellung nicht wiedergefunden hat.“
Die Seele bilde bei diesem Modell gewissermaßen eine Schnittmenge von Körper, Geist und Psyche. „Sie ist die allen Lebensprozessen zugrunde liegende Mitte. Sie sucht nach der Beziehung zu etwas außerhalb von uns“, formuliert es Auffenberg.
Diese Erfahrung mache er bei Menschen immer wieder. So sei ihm bei einer Dokumentation über die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges in Paderborn, die die Stadt nach 1945 wieder aufgebaut haben, aufgefallen, „dass viele sagten: ‚Ohne unseren Glauben hätten wir das nicht überstanden‘.“ Das sei für ihn „der wichtigste Gottesbeweis überhaupt.“
Auffenberg ging aber noch weiter. Er zitierte den Theologen Karl Rahner und behauptete, Gott sei überall da, wo Menschen sind. „Auch dann, wenn ich als Seelsorger die Polizei begleite und die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen überbringen muss. Oder im Kindergarten, wo Felix und Aische miteinander spielen“ , so Auffenberg.
Mit diesem Verständnis geht Schwester Mariotte Hillebrand von den Missionsärztlichen Schwestern Tag für Tag im multikulturellen Stadtteil Duisburg Marxloh an ihre Arbeit. In der anschließenden, von der Journalistin Claudia Auffenberg moderierten Podiumsrunde, erklärte sie: „Für viele ist dieser Stadtteil eine ‚No-go-Area‘. Und genau deshalb hat es mich gereizt, dorthin zu gehen. Denn da müssen wir als Christen sein. Da werden wir gebraucht.“
Gottesbegegnungen erlebe sie dort schon bei dem gemeinsamen Singen mit den Kindern. „Und mit ganz praktischen Hilfen versuchen wir das Umfeld für die Menschen und die Lebensqualität zu verbessern. Zurzeit arbeiten wir beispielsweise an einer mehrsprachigen Internetseite, die die Angebote in diesem Stadtteil zusammenfasst: vom Frisör bis zur Hausaufgabenhilfe.“
Es sei wichtig, den Glauben mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu verknüpfen. Das habe sie auch bei dem Kreuzweg am Karfreitag erlebt, der in diesem Jahr ganz unkonventionell durch den Stadtteil ging und vor einem Gerichtsgebäude begann. „Optimistisch hatte ich mal 30 Zettel mit Texten und Liedern kopiert. Aber die reichten am Ende bei weitem nicht aus.“ Das sei ein weiteres Zeichen dafür, dass Menschen, die sonst nicht in die Kirche gingen, ein spirituelles Bedürfnis spüren.
Frust erlebt Schwester Mariotte dann, wenn sie sieht, dass Kirchenfunktionäre an die fetten Fleischtröge zurück wollen. „Die wird es so nicht mehr geben.“ Ullrich Auffenberg erlebt diese Enttäuschung, wenn Priester über schwindende Gottesdienstbesucher-Zahlen reden: „Aber ist das ein Argument? Ich sehe darin eher ein unendliches Entweichen.“
Neues wagen und Ängste überwinden
Man müsse Neues wagen und Ängste überwinden. In diesem Zusammenhang verwies er auf den Aufbruch des Volkes Israel: „Da sprach Gott aus dem brennenden Dornbusch zu Mose: ‚Ich brauche Dich. Du musst Dein Volk aus dieser Misere herausführen. Da wurde im wahrsten Sinne ein Feuer entfacht.“ Wenn man die Angst anpacke, werde die Schlange zum Stab, der Stab zur Kraft und die Kraft vielleicht auch zum Halt. Es brauche einen Aufstand des Herzens gegen die Herzlosigkeit. Humanität sei einer der größten Herausforderungen unserer Zeit.
„Wir müssen immer wieder neue Wege suchen. Immer wieder neu aufbrechen“ , mahnt Schwester Aloisia. Sie erlebe das in ihrer Ordensgemeinschaft, inspiriert auch durch den internationalen Austausch mit Schwestern aus Bolivien, Brasilien, Mosambik und Rumänien: „Da können wir sehr viel voneinander lernen.“ Dabei seien die Fröhlichkeit und Dankbarkeit der Menschen in diesen Ländern immer wieder eine Antriebsfeder, sich christlich zu engagieren und neues Feuer zu entfachen.
Ullrich Auffenberg denkt immer wieder dankbar an einen dreimonatigen Aufenthalt in Buenos Aires zurück: „Da habe ich gelernt: Obwohl diese Menschen vor riesigen Problemen stehen, sind sie reich. Reich an Beziehungen. Und ich habe gesehen: Es braucht keinen Wohlstand, um glücklich zu sein.“
Eine Besucherin, die sich zu Wort meldete, hat ähnliche Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit in Bestwig gemacht: „Die Menschen, denen ich geholfen habe, sind unglaublich dankbar, nennen mich sogar Schwester. Das motiviert mich. Aber von kirchlicher Seite erfahre ich dafür kaum eine Rückmeldung.“
Ein anderer Gast bemerkte, dass er Kirche immer weniger in der Kirche suche, sondern vielmehr im Kleinen erlebe. Etwa in einem Gesprächskreis. Schwester Maria Ignatia nannte in diesem Zusammenhang die Interreligiösen Meditationen, zu denen die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel seit drei Jahren alle zwei Monate einladen: „Da begegnet man anderen Menschen, die sich vom Geist führen lassen. So möchte ich Kirche erleben. Das macht mir Freude.“
Aber das sind einzelne, teilweise sogar private Initiativen. Schwester Theresita Maria Müller äußerte den Gedanken: „Ist die Kirche in Deutschland vielleicht noch viel zu groß, um sich innerhalb ihrer Strukturen wirklich verändern zu können?“
Kirche steht sich selbst im Weg
Dass sich die Amtskirche mit ihren Strukturen und Auflagen oft selbst im Weg steht, wird auch in der Krankenhausseelsorge deutlich. „Da begleitet die Krankenhausseelsorgerin vielleicht wochenlang einen Sterbenden. Aber wenn nach der Krankensalbung gefragt wird, muss ein Priester herangeholt werden“, beklagt Ullrich Auffenberg. Schwester Aloisia berichtete, dass mehrere Schwestern ihrer Gemeinschaft in der Krankenhausseelsorge tätig seien und von diesem Dilemma erzählen: „Schon vor vielen Jahren haben wir deswegen alle Bistümer angeschrieben, in denen wir tätig sind. Aber keins hat geantwortet.“
Ebenso irritieren die Wortgottesfeiern, in denen keine Kommunion ausgeteilt werden darf. Auffenberg kritisiert: „Jesus wollte durch seinen Tod mit uns das Leben teilen. Aber bei den Wortgottesfeiern bleibt er im Tabernakel. Er ist doch nicht für einen Schrank gestorben!“
Deutlich wurde in der Diskussion also, dass viele Menschen ein spirituelles Bedürfnis haben. Unabhängig von Kirchenbesucher-Zahlen oder Kirchenaustritten. Dass es viele Widersprüche gibt, die zu überwinden sind, aber dass auch Jesus solche Widersprüche überwunden hat. Und dass im Christentum viele Ideen angelegt sind, die man zur Entfaltung bringen muss. Und das nicht nur in der Seelsorge, sondern auch bei der Bewahrung der Schöpfung.
Diesen Aspekt hatte Ullrich Auffenberg zum Abschluss seines Vortrages noch aufgegriffen. Am Beispiel der Sabbatruhe: „Die soll dazu dienen, dass Mensch und Natur zur Ruhe kommen. Viele Juden halten sie nach wie vor streng ein.“ Der Seelsorger lud dazu ein, sich einmal vorzustellen, dass einen Tag in der Woche alle Autos stillstünden, keine Fabrik produziere und kein Flugzeug flöge: „Dann würden wir heute nicht mehr über die Klimakatastrophe reden.“
Vision gibt es für eine zeitgemäße Kirche also genug. Und genügend Gelegenheiten, neues Feuer zu entfachen. Schwester Klara Maria wünschte den Besucherinnen und Besuchern zum Abschied, dass sie hoffentlich ein bisschen von diesem Feuer, das bei dem Forum Weltkirche zu spüren war, mit nach Hause nehmen.