Forum Weltkirche: Abschied nehmen von der Kirche, wie wir sie kennen
„Wir müssen weg von dem Anspruch, für alle Milieus Angebote zu machen. Wir müssen die Welt und den Menschen suchen, objektive Erkenntnisse durch subjektive Gewissheit ersetzen.“ Mit diesen Worten fordert die Pastoraltheologin Dr. Hadwig Müller nicht nur ein Umdenken in der verfassen Kirche, sondern auch in den Köpfen jedes einzelnen Christen.
„Dabei müssen wir Abschied nehmen von der Kirche, wie wir sie kannten“, machte die Freiburgerin bei dem Forum Weltkirche am Donnerstagabend im Bergkloster Bestwig deutlich. Es sei gut gewesen, die Kirche, wie sie war, in den vergangenen Jahrzehnten gehabt zu haben. Aber ihr gehöre nicht mehr die Zukunft. Dabei spricht sie auch aus ihrer zehnjährigen Erfahrung in der Arbeit mit Kleingemeinden und Frauengruppen in Brasilien, die eigene Wege finden, ihren Glauben zu leben.
„Wissen für Nicht-Wissen öffnen“
„In der verfassten Kirche ist alles mit dem Anspruch verbunden, die Wahrheit zu kennen und Wissen zu vermitteln. Jetzt aber müssen wir lernen, jedes Wissen für ein Nicht-Wissen zu öffnen.“ Denn man müsse alles infrage stellen, was bisher als unumstößlich galt. „Statistiken und Studien helfen uns dabei nicht weiter. Es wird erhoben, was vergeht. Aber nicht, was im Werden ist.“ Das sei vergleichbar mit dem Werden eines Kindes. „Wenn die Eltern schon Pläne für ihr Kind haben, wird es ihm schwerer fallen, seinen eigenen Weg zu gehen und seine Fähigkeiten zu entfalten.“ Deshalb seien Christen angehalten, eine neue Dynamik zuzulassen „und da Bewegung zu schaffen, wo die Quelle des Lebens hervortritt.“
Mit diesen Thesen lieferte die Pastoraltheologin in ihrem Eingangsvortrag die Basis für eine interessante Diskussionsrunde. Daran nahmen auch der emeritierte Bischof Dr. Michael Wüstenberg und die Pastoralreferentin Schwester Sigrid Maria Hoves teil.
Michael Wüstenberg leitete zehn Jahre lang die Diözese Aliwal in Südafrika. Dort hatte er Ansätze von Gemeindearbeit kennengelernt, die schon mehr in die Richtung gehen, wie Hadwig Müller sie fordert. „Wenn eine Gemeinde dort drei Priester für 23 Orte hat, heißt das natürlich, dass wir Laien auch Leitung übertragen. Und dass wir Laien auch zugestehen, ihre eigenen Ideen zu entwickeln.“ Schließlich habe die Urkirche genauso angefangen. Damals habe es noch keine Weihen und keine Ämter gegeben. „Überhaupt ist die Unterscheidung von Haupt-, Neben- und Ehrenamtlichen völlig unsinnig“, bekannte der Bischof unter Applaus.
Begegnung auf Augenhöhe
Die Christen müssten sich auf Augenhöhe begegnen. Schließlich spreche die Liturgie schon jedem Täufling zu, Anteil an Christus zu haben, der Priester, König und Prophet sei. Mit diesem Argument habe er als Bischof auch die Gegner der Gleichberechtigung von Frauen in den Gemeinden ausgebremst. Denn die Geschlechterrollen seinen in den HOSA-Gemeinden Südafrikas noch sehr traditionell verankert.
Wüstenberg warnte zwar davor, das Modell der Kleingemeinden in Deutschland vorschnell zu übernehmen. Schließlich sei das über Jahrzehnte gewachsen – „Und hier habe ich den Eindruck, dass das zweite Vatikanische Konzil noch nicht einmal angekommen ist.“ Zweifellos aber könne man viel von diesen Gemeinden lernen, die sich zum Beispiel intensiv mit der Bibel befassen: „In der Bibel sind die Grunderfahrungen des Glaubens eingefroren, die wir nur auftauen müssen.“
Mit der Rikscha zum Markt
Wie der Weg zu einer neuen Kirche hierzulande aussehen kann, zeigte Schwester Sigrid Maria, die als Pastoralreferentin in Essen-Steele arbeitet: „Da fahren wir mit einer Rikscha auf die Wochenmärkte und bieten für kleines Geld Kleidung an.“ Eine leer stehende Kirche sei zur Kleiderkirche umfunktioniert worden. Doch habe man bald festgestellt, dass die Menschen nicht alle von allein dorthin kommen. „Deshalb gehen wir raus. Wir schaffen Begegnungen. Und so, wie wir den Menschen offene Augen und ein offenes Herz schenken, schenken sie uns das zurück.“
Schwester Sigrid Maria stellt fest, dass sich mit einem solchen Projekt viel bewegen lässt: „Die Aktiven sind mit Begeisterung dabei und wollen etwas verändern.“ Keiner wolle sich heute mehr für 20 Jahre an einen Kirchenvorstand binden – „aber diese Initiative, bei dem man unverbindlicher einsteigen und mitarbeiten kann, tragen ganz viele mit.“ Und so entstehe vielleicht eine neue Gemeinde.
Rausgehen und auf die Menschen zugehen: Das tut auch die Missionsprokuratorin der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel, Schwester Klara Maria Breuer, in der Obdachlosenpastoral in Münster. Hadwig Müller machte deutlich, dass sie den Kundschaftern einer Kirche begegne, die wir noch nicht kennen: „Denn jede Begegnung mit einem anderen Menschen – ob Christ oder nicht – wird zu einer Quelle von Lebendigkeit, die beide Seiten verändert.“ Beide seien Suchende, beide Empfangende. Bisher sei das das aber nicht das Selbstverständnis der Kirche.
„Wir dürfen Vorlieben haben“
Dabei sei auch Maria Magdalena Postel schon auf Suchende zugegangen. So etwa auf jungen Frauen, die keine Bildungschancen hatten. Heute täten es die Schwestern in Mosambik, wo sie Frauen helfen, um ihre Rechte zu kämpfen. Oder in Brasilien, wo sie Menschen wie Janete begegneten, die eine weiterführende Schule besuchen will. „Niemand verlangt von uns als Christen, alle gleich zu lieben. Wir dürfen Vorlieben haben“, warb Hadwig Müller, sich Einzelnen und bestimmten Gruppen zuzuwenden und voneinander zu lernen: „Das Größte ist die Bereitschaft, von diesen Menschen zu empfangen.“
Deshalb seien die Strukturen der Kirche nicht mehr zeitgemäß, machte die Pastoraltheologin und Psychologin deutlich. Dies gelte besonders im Hinblick auf den Status der sogenannten Laien und dort wiederum auf die Rolle der Frauen.
Aus dem Publikum heraus erlaubte sich die Klinikseelsorgern Schwester Theresia Maria Kösters die Schlussbemerkung: „Ich frage mich ja, wie lange sich die Kirche überhaupt noch den Luxus erlauben kann, an den Frauen vorbei Sakramente zu spenden und Messen zu zelebrieren.“ Vielleicht gibt Ulrich Klauke, der die Diskussion als Leiter des Referats Weltmission, Entwicklung und Frieden beim Erzbistum Paderborn souverän moderierte, diese Frage ja an „seinen“ Bischof weiter.