Spiritueller Impuls von Schwester Ruth Stengel zum dritten Advent
Endlich Stille, so freue ich mich. Nach langem Tag sitze ich in unserem Gebetsraum in der fünften Etage unseres Schwesternkonvents in Jena und bin froh, jetzt nichts mehr zu müssen außer still sein. Da höre ich ihn, den altbekannten Keyboard Ton von nebenan.
Im Plattenbau sind die Wände wie Papier. Eigentlich übt Herr K. doch immer nur morgens. Ach, nee, „Oh, du fröhliche…“, jetzt bitte nicht. In mir steigt Ärger auf und mischt sich mit Gefühlen und Erinnerungen dieser Woche. Da ist der Schicksalsschlag einer Familie aus der Gemeinde, der uns alle erschüttert, da sind Nachrichten, die mich ohnmächtig und wütend machen und da ist meine kleine Alltagswelt, die ich meist eher bestehe als gestalte: Brüche, Widersprüche, Ungelöstes.
Warum taucht das alles gerade jetzt wieder auf, bei „Oh, du fröhliche?“
Vielleicht, weil der Advent Gottes nicht bequem ist, weil er Brüche mehr aufdeckt als zudeckt, damit unsere Sehnsucht nach Heil größer wird? Vielleicht, weil es gut ist, dass Gott nicht einfach passt, damit wir nicht so schnell fertig werden mit ihm?
Mir bleibt am Vorabend zum dritten Advent nichts anderes übrig als auszuhalten: Keyboard, Stille und die Fragen. Und Gott das Ganze hinzuhalten. Ist ja seine Welt, in die ER kommen will.
Herr K. fängt jetzt auch noch an zu singen und ich denke: Klingt gar nicht so schlecht.