Spiritueller Impuls von Sr. Theresia Lehmeier
Ich fahre auf der Autobahn. Der Fahrer hinter mir betätigt die Lichthupe. Das passiert schon mal, wenn ein Drängler schnell vorbei will. Ich denke mir nichts dabei, überhole den Lastwagen und fahre wieder auf die rechte Spur. Nun betätigt auch der Lastwagenfahrer die Lichthupe. Jetzt beginnt es in mir zu arbeiten. Habe ich etwas falsch gemacht? Ist irgendetwas mit dem Auto nicht in Ordnung? Ist vielleicht ein Teil locker?
Beunruhigt steuere ich den nächsten Parkplatz an. Der Lastwagen folgt mir. Ich steige aus, gehe um das Auto herum, sehr nichts Verdächtiges. Der Lastwagenfahrer steigt ebenfalls aus, kommt auf mich zu. „Ist etwas mit dem Auto nicht in Ordnung?“, frage ich ihn.
Er grinst mich an und fragt: „Schwester, kannst Du mich segnen?“ Wie bitte? Habe ich mich da verhört? Der Mann ist groß und kräftig, seine Arme sind reichlich tätowiert, sein Deutsch hat einen deutlich osteuropäischen Akzent. Auf den ersten Blick flößt er nicht eben Vertrauen ein. Ich bin völlig verdutzt. Was er da von mir will, ist so ganz anders als das, was mich sein Äußeres erwarten lässt, dass ich einen Moment brauche, um zu begreifen und umzuschalten. Dann tue ich das, was er von mir will, mache ihm ein Kreuz auf die Stirn und spreche einen Segenswunsch.
Als Antwort strahlt er mich an und umarmt mich so stürmisch, dass mir der Schleier vom Kopf fällt und ich im letzten Moment verhindern kann, dass er weggeweht wird.
Nachdem ich mich wieder zurechtgerückt habe, tauschen wir einige Informationen aus – woher wir kommen, wohin wir fahren – wünschen uns gegenseitig alles Gute, steigen wieder in unsere Autos und setzen unsere Wege fort.
Was war das denn jetzt? Da wollte jemand einen Segen. Mitten auf der Autobahn. Nichts anderes, nur einen Segen. Es kommt mir völlig unwirklich vor. Eine Begegnung der ganz besonderen Art.
Wir sind inzwischen darauf getrimmt, anderen eher misstrauisch zu begegnen. Zu viele Nachrichten sind negativ, zu viele Warnungen werden ausgesprochen, wir wagen kaum noch, unvoreingenommen und spontan freundlich auf jemanden zuzugehen, weil der andere ja ein potentieller Attentäter sein könnte. Ein Bösewicht, einer von den Fremden, die Übles im Schilde führen. Oder einer, der mich auf irgendeine Weise ausnutzen will. Es gibt zu viele Geschichten von unheilvollen Begegnungen.
Und dann dieses: Jemand folgt mir auf den Parkplatz, weil er einen Segen will. Unglaublich eigentlich, aber gerade eben passiert.
Es ist Pfingsten. Das Fest der Herabkunft des Heiligen Geistes. Geburtsfest der Kirche. Alles bekannt, aber dennoch schwer fassbar. Wer ist dieser Heilige Geist? Die Taube, die vom Himmel kommt? Das Feuer, das im Inneren brennt? Man sagt auch, der Geist sei die Beziehung zwischen Gott, dem Vater, und Jesus, seinem Sohn. Der Geist sei es auch, der in unseren Beziehungen wirke.
Braucht es vielleicht diesen Geist, der mich öffnet für den anderen? Der mir den Mut gibt, nicht wegzusehen, nicht angstvoll die Begegnung zu verweigern?
Ich weiß es nicht. Aber es ist mir klar: Das Wesentliche spielt sich auf der persönlichen Ebene ab, in den kleinen Begegnungen des Alltags, im Zulassen dessen, was ungewöhnlich, unwirklich und ein klein wenig schräg erscheint.
Bei allem Verwundert-sein und ungläubigen Staunen über das, was gerade passiert ist, ist in mir eine Heiterkeit, die mich leise lachen lässt, als ich weiterfahre.
Und ich denke an Hanns-Dieter Hüsch, der sagt: „Gott möge von seiner Heiterkeit ein Quentchen in uns hineinpflanzen, auf dass sie bei uns wachse, blühe und gedeihe, und dass wir unseren Alltag leichter bestehen.“