Spiritueller Impuls von Sr. Martina Küting
Annäherung an die Wirklichkeit
nicht durchblicken – sondern anblicken
nicht im Griff haben – vielmehr ergriffen sein
nicht bloß verstehen – auch zu dir stehen
nicht durchschauen – einfach nur anschauen
so werden wir wirklich
Dieses Gedicht von Andreas Knapp führt uns mit wenigen Worten in die tiefe Mystik der Lebenshingabe ein. Es gibt so Vieles, das uns Menschen übersteigt, im Großen wie im Kleinen: so vieles, das wir nicht verstehen, so vieles, das wir uns anders erträumt haben, so vieles, das anders gekommen ist, als wir es uns gedacht hatten. Die Welt scheint aus den Angeln zu sein, die Schöpfung schreit nach Erlösung. Und wir Menschenkinder wissen nicht, wohin wir uns wenden sollen, um ein Aufatmen zu erleben. Wenden wir uns zur einen Seite und glauben, gerade unsere Hoffnung wieder gefunden zu haben, da trifft es uns von der anderen Seite. Ratlos schauen wir uns um. Wer gibt uns Orientierung? Was ist der Sinn? Wer rettet uns – wenn wir zu retten sind?
Nicht durchblicken – sondern anblicken…
Petrus ist so jemand, der nicht durchblickt, als Jesus mit der Schüssel voll Wasser kommt, um ihm die Füße zu waschen. Er versteht nichts von dem, was geschieht. Da fällt sein Blick in das klare Wasser, in dem sich das Gesicht Jesu spiegelt. Und während Jesus ihm die Füße wäscht blickt er dieses Gesicht an. Und er liest darin. Er liest von der Demut seines Meisters, er liest von der Geste einer Liebe, die ihn übersteigt, er liest vom Geheimnis einer Hingabe, die größer ist.
Nicht im Griff haben – vielmehr ergriffen sein
Und Simon von Cyrene ist jemand, der nichts im Griff hat, als er zufällig dem Leidenszug Jesu begegnet und er sich herausfordern lässt, seine Füße in die Spuren des Kreuztragenden zu setzen. Vielmehr wird er zum Ergriffenen der größeren Liebe, als er an das Holz fasst, um Jesus die Last etwas zu erleichtern.
Nicht bloß verstehen – auch zu dir stehen
Und Petrus will verstehen, darum geht er mit in den Hof des Palastes und verfolgt das Verhör Jesu. Ja, er will verstehen, was hier vor sich geht. Er will Jesus und seine „Geschichte“ endlich verstehen. Da trifft ihn der Blick der Magd: „Auch du warst immer mit diesem zusammen…“ Und der Blick der zweiten Magd… und das Wort der dritten: „An der Seite dieses Jesus haben wir dich gesehen!“ Und Petrus leugnet: „Ich kenne diesen Menschen nicht!“ – Dreimal – dann fängt er bitterlich an zu weinen. Er lernt auf bittere Art und Weise zu sich zu stehen im Licht der größeren Liebe.
Nicht durchschauen – einfach nur anschauen
Unter dem Kreuz die Zwei: Maria und Johannes. Sie durchschauen gar nichts mehr. Sie wissen sich nicht zu helfen. Sie finden kein Aufatmen. Aber sie sind da. Und sie schauen Jesus an. Sie schauen ihn an im Leiden, sie schauen ihn an am Kreuz. Sie schauen ihn an im Tod. Sie schauen ihn an als Toten. Sie schauen die größere Liebe.
So werden wir wirklich
In der Ratlosigkeit und im Furchtbaren sind Petrus, Simon von Cyrene, Maria und Johannes in Berührung mit einem Menschen, einem Gott-Menschen, der in eigener Ratlosigkeit und in eigenem Furchtbaren das IHM widerfährt, eine Liebe lebt, die unendlich größer ist.
Diese Liebe wird die Erde beben und den Stein vom Grab rollen lassen. Diese Liebe ist die Kraft der Auferstehung, sie ist die Hoffnung aller Zeiten in den Herzen aller Menschen.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern dieser Zeilen in diesen Tagen von Herzen ein Sich – hinein – Begeben in das Geheimnis der größeren Liebe und damit verbunden eine tiefe Osterfreude.
Sr. Martina Küting