Gruppe aus Bestwig und Heiligenstadt zufrieden vom Katholikentag zurück – Sr. Ruth Stengel diskutierte über Esprit in Glaubensfragen
Schwester Ruth Stengel sieht Theologie vor allem als Wagnis. Auf dem Podium zum Thema „Glauben denken mit Esprit – muss Theologie fromm sein?“ erzählte sie beim Katholikentag in Leipzig, wie sie das Bild von Maria Magdalena Postel als Gründerin ihrer Ordensgemeinschaft in einer Forschungsarbeit von der Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts befreite, selbst ins Zweifeln über ihren Weg als Ordensfrau geriet und jetzt doch zuversichtlich ist, an der richtigen Stelle zu sein.
„Mit meinen Nachforschungen habe ich meiner Gemeinschaft natürlich auch etwas zugemutet“, so die 36-Jährige Diplom-Religionspädagogin. Denn für viele Eigenschaften und Aussagen, die der Ordensgründerin zugeschrieben werden, gibt es nur wenig Quellen. So verschwinde ihre originale Persönlichkeit hinter den – von männlichen Klerikern des 19. Jahrhunderts – „gezeichneten“ Landkarten der Biografien, schreibt sie in ihrer Lizentiatsarbeit für die philosophisch-theologische Hochschule (PTH) in Münster, die sie 2015 unter dem Titel „Brucherfahrungen einer Heiligen“ veröffentlicht hat. Die PTH und das Institut M.-Dominique Chenu in Berlin waren die Veranstalter dieses Podiums am Samstagnachmittag im Leipziger Haus des Buches.
Letztlich könnten solche Kontroversen gewinnbringend sein, so Schwester Ruth: „Theologie soll anstiften und immer auch zu Gemeinschaft führen.“ Jetzt arbeitet sie in Jena als Gemeindereferentin und in der Hochschulseelsorge, wo sie auf viele Begegnungen mit fragenden und suchenden Menschen hofft.
250 aufmerksame Zuhörer
Die Diskussion vor rund 250 Zuhörern riss viele theologische Grundsatzfragen an – und wartete mit interessanten Antworten auf. Teilnehmende waren neben Schwester Ruth der Freiburger Moraltheologe Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff, die Dominikanerin Schwester Kerstin-Marie Berretz und der Kapuziner Bruder Paulus Terwitte.
Schockenhoff erzählte, dass er Moraltheologie im Studium noch als Richtschnur kennengelernt habe, die anderen zeigen solle, was richtig ist. „Dabei müssen wir uns selbst immer wieder infrage stellen. Die Theologie ist kein Rätsel, das wissenschaftlich zu lösen ist und bei dem immer weniger Fragen offen sind. Vielmehr ist sie ein Geheimnis. Und das wird sie bleiben.“ Besserwisserisch dürfe Moraltheologie daher niemals sein: „Vielmehr ist es ihre Aufgabe, unerledigte Fragen in den Diskurs zu bringen.“
Nur wenig Quellen
Vor diesem Hintergrund müsse man aus postmoderner Sicht auch manche im 19. Jahrhundert entwickelte Form von Frömmigkeit infrage zu stellen. Ähnlich, wie Schwester Ruth es den verklärten Schriften über die Ordensheilige getan hat – „denn tatsächlich gibt es von Maria Magdalena Postel selbst nur ganz wenig Dokumente. Insofern ging unsere Gemeinschaft vielleicht lange von etwas aus, was sie gar nicht gehabt hat.“
Fromm müsse dabei nicht von Vornherein etwas Altmodisches sein. Für Bruder Paulus sind fromme Menschen zunächst einmal solche, „die angstfrei auf andere zugehen.“ Aufgabe der Theologie sei es aber, Frömmigkeitsformen zu entlarven, die die Peripherie ins Zentrum rücken: „Das ist auch da der Fall, wo sie fundamentalistisch werden.“
Theologie rufe also nicht nur zur Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen auf: „Vielmehr bedeutet Theologie immer Wandlung.“ In seiner Gemeinschaft der Kapuziner gebe es ebenfalls viel Handlungsbedarf. Dazu gehörten Mut und Esprit. Bruder Paulus betonte: „Als Theologen sind wir immer einem Glauben verpflichtet. Nicht aber einem Amt.“
Im Tun kennengelernt
Das Publikum hörte aufmerksam zu und stellte differenzierte Fragen. Mit einer hatte Schwester Ruth natürlich gerechnet: ob sie beim Eintritt in die Gemeinschaft der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel vielleicht auf das falsche Pferd gesetzt habe, wenn sie die Gründerin jetzt doch in anderem Licht sehe. Das aber verneinte sie eindeutig: „Ich bin nicht vor allem wegen der Gründerin eingetreten, sondern vielmehr aufgrund der Schwestern, die ich in ihrem Tun kennengelernt habe: zuerst als Missionarin auf Zeit in Brasilien und später im Bergkloster Bestwig.“ Dennoch sehe sie eine wichtige Aufgabe darin, die Spiritualität der Gemeinschaft zu hinterfragen und neu zu ergründen.
So macht es auch Schwester Kerstin-Marie, die unter jungen Menschen „eine große Offenheit gegenüber der Theologie“ erlebt und die es auch mit Offenheit zu erwidern gelte. Und Bruder Paulus, der in der Frankfurter Innenstadt missioniert und die Medien für sich nutzt: „Die interessiert doch vor allem der Einzelne. Das persönliche Schicksal.“ Auch Jesus habe die Jünger immer wieder nach ihren Erfahrungen gefragt: „Machen wir es doch genauso. Theologen müssen Hörende und vor allem Redende sein.“
Mahnende Worte beim Abschlussgottesdienst
Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, war das Grundthema des 100. deutschen Katholikentages unter der Überschrift „Seht, da ist der Mensch.“ In der Predigt des Abschlussgottesdienstes, den die in Leipzig aktiven Schwestern aus Heiligenstadt und Bestwig miterlebten, mahnte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Dr. Reinhard Marx, die zu uns kommenden Flüchtlinge anzunehmen und aufzunehmen. Das sei eine urchristliche Aufgabe: „Die Grenzen zu schließen, kann keine Lösung sein.“
Und der Vorsitzende des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Professor Dr. Thomas Sternberg, gestand: „Wir sorgen uns um Europa.“ Die Christen stünden in der Verantwortung, sich für christliche Werte und den Zusammenhalt auf diesem Kontinent einzusetzen. Worte, die auch die Gruppe der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel beeindruckte und mit nach Hause nahm.