Impuls zum Placidajahr von Sr. Maria Ignatia Langela
Nichts hat mich in den letzten Monaten so bewegt wie die Rede von Navid Kermani mit der Überschrift „Über die Grenzen – Jacques Mourad und die Liebe in Syrien“. Er beginnt: „An dem Tag, als mich die Nachricht vom Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erreichte, am selben Tag wurde in Syrien Jacques Mourad entführt. Zwei bewaffnete Männer traten in das Kloster Mar Elian am Rande der Kleinstadt Qaryatein und verlangten nach Pater Jacques. Sie fanden ihn wohl in seinem kargen kleinen Büro, das zugleich sein Wohnzimmer und sein Schlafzimmer ist, packten ihn und nahmen ihn mit. Am 21. Mai 2015 wurde Jacques Mourad eine Geisel des sogenannten „Islamischen Staats“.
Ich habe Pater Jacques im Herbst 2012 kennengelernt, als ich für eine Reportage durch das bereits kriegsgeschüttelte Syrien reiste. Er betreute die katholische Gemeinde von Qaryatein und gehörte zugleich dem Orden von Mar Musa an, der sich Anfang der achtziger Jahre in einem verfallenen frühchristlichen Kloster gegründet hat. Das ist eine besondere, eine wohl einzigartige christliche Gemeinschaft, denn sie hat sich der Begegnung mit dem Islam und der Liebe zu den Muslimen verschrieben. So gewissenhaft die Nonnen und Mönche die Gebote und Rituale ihrer eigenen, katholischen Kirche befolgen, so ernsthaft beschäftigen sie sich mit dem Islam und nehmen bis hin zum Ramadan teil an der muslimischen Tradition.
Das klingt verrückt, ja, aberwitzig: Christen, die sich nach ihren eigenen Worten in den Islam verliebt haben. Und doch war diese christlich-muslimische Liebe noch vor Kurzem Wirklichkeit in Syrien und ist es in den Herzen vieler Syrer noch immer. Mit ihrer Hände Arbeit, ihrer Herzen Güte und ihrer Seelen Gebete schufen die Nonnen und Mönche von Mar Musa einen Ort, der mir utopisch anmutete und für sie selbst nichts Geringeres als die endzeitliche Versöhnung – sie würden nicht sagen: vorwegnahm, aber doch vorausfühlte (…): ein Steinkloster aus dem siebten Jahrhundert mitten in der überwältigenden Einsamkeit des syrischen Wüstengebirges, das von Christen aus aller Welt besucht wurde, an dem jedoch zahlreicher noch Tag für Tag Dutzende, Hunderte arabische Muslime anklopften, um ihren christlichen Geschwistern zu begegnen, um mit ihnen zu reden, zu singen, zu schweigen und auch, um in einer bilderlosen Ecke der Kirche nach ihrem eigenen, islamischen Ritus zu beten.“
Ich erinnerte mich beim Lesen an einen Kontinente-Artikel; Redakteurin Beatrix Gramlich hat schon 2009 eindrucksvoll von ihrem Besuch dieses Klosters berichtet, so habe es sich der Jesuitenpater Paolo immer gewünscht: „Mar Musa sollte nicht zur Touristenattraktion verkommen, sondern ein Ort der Mystik werden. Ein Ort der Begegnung mit Gott und den Menschen – für Christen und Muslime, Arme und Reiche, für alle, die auf der Suche sind.“
Und wie sich so manches fügt, lese ich gerade gestern die Verlautbarung des Papstes zum Jahr der Barmherzigkeit: „Die Barmherzigkeit ist auch über die Grenzen der Kirche hinaus bedeutsam. Sie verbindet uns mit dem Judentum und dem Islam, für die sie eine der wichtigsten Eigenschaften Gottes darstellt. (…) Dieses Jubiläumsjahr (…) mag die Begegnung mit diesen Religionen und mit anderen ehrwürdigen religiösen Traditionen fördern.“ (Misericordiae vultus, Art. 23)
Meine bedrängende Frage: Wie wird unser Kloster in diesem Sinn zu einer „Oase der Barmherzigkeit“ (Misericordiae vultus, Art. 12)?
Ich möchte schließen mit der Einladung von Navid Kermani: „Ich möchte Sie bitten, zum Schluss meiner Rede nicht zu applaudieren, sondern für Pater Paolo und die zweihundert entführten Christen von Qaryatein zu beten, den Kindern, die Pater Jacques getauft, die Liebenden, die er miteinander vermählt, den Alten, denen er die Letzte Ölung versprochen hat. Und wenn Sie nicht religiös sind, dann seien Sie doch mit Ihren Wünschen bei den Entführten und auch bei Pater Jacques, der mit sich hadert, weil nur er befreit worden ist. (…)Und so bitte ich Sie, meine Damen und Herren, beten Sie für Jacques Mourad, beten Sie für Paolo Dall’Oglio [2013 entführt und bis heute ohne sicheres Lebenszeichen], beten Sie für die Christen von Qaryatein, beten Sie oder wünschen Sie sich die Befreiung aller Geiseln und die Freiheit Syriens und des Iraks.“
Stichwort Placida-Jahr:
Die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel gedenken von September 2015 bis September 2016 der Gründerin ihrer deutschen Kongregation, Schwester Placida Viel. Schwester Placida war die zweite Generaloberin der französischen Gemeinschaft und kleidete 1862 vier Lehrerinnen in Heiligenstadt ein. Seit 1920 ist der daraus entstandene deutsche Ordenszweig eigenständig. Schwester Placida wurde als Victoria Viel am 26. September 1815 – also vor 200 Jahren – geboren.