Taifune, AIDS, Biosprit: Forum diskutierte Rolle der Kirche in globalisierter Welt
„Mir scheint es, dass die Bistümer Angst davor haben, den Laien in den Gemeinden zuviel Verantwortung zu übertragen. Weil dann vielleicht Dinge passieren, die sie nicht mehr steuern können. Aber diese Angst habe ich nicht“, erklärte der bekannte Pastoralsoziologe Prof. Dr. Dr. Norbert Mette am Freitagabend beim Missionarischen Forum im Bergkloster Bestwig.
Das stand unter dem Thema: „Wenn Solidarität auf der Strecke bleibt – Wo bleibt der Ruf der Kirche?“ Eingeladen hatte die Missionszentrale der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel in Kooperation mit der Bergkloster Stiftung SMMP.
Gefragt wurde nach der Rolle der katholischen Kirche im Prozess der Globalisierung. Hat sie in der Öffentlichkeit noch eine Stimme? Kann sie die überhaupt erheben, wenn sie die Frage nach der Solidarität zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, Priestern und Laien in ihren eigenen Strukturen noch nicht geklärt hat? Dabei kamen die Zweifel am Sinn immer größer werdender Pastoralverbünde unweigerlich zur Sprache.
Pater Wolfgang Schonecke, Leiter der Büros vom Netzwerk Afrika Deutschland (NAD), erlebt in Berlin gerade die Diskussion um die zukünftige Struktur der Gemeinden: „Da heißt es, dass es in 20 Jahren nur noch 30 Priester geben wird, die in der Lage sind, eine Großpfarrei zu leiten. Folglich müsse man aus den 100 bisherigen Pfarreien 30 machen. Was ist das für eine Logik?“ Als langjähriger Missionar in Uganda, wo zweieinhalb Priesterstellen für 50 Pfarrgemeinden reichen mussten, ist ihm diese Diskussion fremd: „Nicht wir Geistliche haben dort missioniert. Das waren die Laien. Die haben ihre Gemeinden selbstständig geführt und weiterentwickelt.“
„Nicht vom Priester her denken“
Dies müsse die katholische Kirche in Deutschland noch lernen: Nicht von oben herab, vom Priester her zu denken, sondern von den Bedürfnissen der Gemeinde her: „Am Anfang muss die Gemeinde klären, was sie in Zukunft noch leisten kann und was nicht. Erst daraus ergibt sich die Frage, was die größere Einheit, die Pfarrei übernehmen muss, und was schließlich ein Pastoralverbund regeln muss.“
Sowohl Pater Schonecke als auch Norbert Mette verteidigten die Notwendigkeit von Großverbünden, nicht aber die Art und Weise, wie die Bistümer sie umsetzen wollen. „Natürlich bietet ein solcher Verbund Synergie-Effekte. Und er bietet uns die Chance, über den eigenen Kirchturm hinauszublicken“, so Norbert Mette – „das brauchen wir. Und das müssen auch die Gemeindemitglieder lernen.“
Solidarität hat neue Formen
Zu Beginn des Forums referierte Norbert Mette über die Frage, wie sich der Begriff der Solidarität im Zuge der Industrialisierung entwickelt hat und was er heute bedeutet. Dabei stellte er fest, dass Sozialsysteme die Aufgaben familiärer Bande übernommen hätten und ebenfalls viele Initiativen zu Tage förderten: ob Friedensbewegung oder lokale Umweltschutz-Initiativen, Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen: „Das Weite wird uns zum Nächsten. Auch das ist eine Form der Globalisierung.“ Und das sei wichtig. Paradox sei daran allerdings, dass viele der Gefährdungen und Risiken, denen solche Initiativen begegnen wollen, von Menschen verursacht seien.
Pater Wolfgang Schonecke fügte hinzu: Eine große Gefahr besteht darin, dass die Risiken immer abstrakter werden: „Wollte ich jemandem in Afrika erklären, dass ungeschützter Geschlechtsverkehr zu AIDS führen kann und er fünf Jahre spätrer vielleicht daran sterben muss, war das für ihn viel zu weit weg. So geht es unserer Gesellschaft heute bei den ökonomischen und ökologischen Gefahren der einen Welt.“
Klimawandel, Land Grabbing und Ressourcen-Verknappung erscheinen weit weg
Als Beispiel nannte er den Klimawandel: „Auf den Philippinen bauen die Menschen ihre Häuser schon gar nicht mehr auf, so oft werden sie inzwischen von gefährlichen Stürmen zerstört. Für uns ist das oft viel zu weit weg. Aber die Klimakatastrophe wird uns unweigerlich erreichen.“ Auch die zweifelhafte Aneignung von ganzen Landstrichen durch Industrielle in Afrika – das sogenannte Land Grabbing – oder die Durchsetzung des Biosprits in Europa auf Kosten wertvoller Anbauflächen für Nahrungsmittel im südlichen Teil der Welt seien Themen, die hier viel zu wenig diskutiert würden.
Professor Mette erklärte, dass erst die persönliche Betroffenheit Initiative auslöse: „Und die erwächst aus der Empathie für die ins eigene Gesichtsfeld tretenden, konkreten Anderen, verstärkt durch die Empfindlichkeit für ihr Leiden.“ Wie jetzt wahrscheinlich nach dem verheerenden Sturm auf den Philippinen.
Zu sehr mit sich selbst beschäftigt
In dieser Richtung habe die katholische Kirche in den zurückliegenden Jahren oft versäumt, ihre Stimme zu erheben: „Weil sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Ob Priestermangel und Umstrukturierungen, Missbrauchsfälle oder jetzt der Limburger Finanzskandal“, mutmaßt Norbert Mette. Deshalb dürfe sie sich nicht wundern, wenn sie nur noch wenig Gehör findet: „Da hat sie einiges verspielt.“
Im Netzwerk Afrika Deutschland versuchen zumindest die in Afrika arbeitenden deutschen Ordensgemeinschaften gemeinsam ihre Stimme zu erheben. „In Berlin gibt es 10.000 Lobbyisten. Die haben wir nicht. Aber wir können auf die Einsicht der Bevölkerung bauen. Das gibt uns moralisch Kraft“, begründet Pater Wolfgang Schonecke seinen Optimismus, die Politiker zu erreichen.
„Die Katholische Kirche hat ihre Vorreiterrolle verloren“
Norbert Mette erinnerte daran, dass die katholische Kirche noch vor wenigen Jahrzehnten eine Vorreiterrolle eingenommen habe, wenn es darum ging, den Blick in die Welt zu richten: „Als unter Kardinal Joseph Frings 1958 das Missionswerk Misereor gegründet wurde, hat an Entwicklungspolitik noch niemand gedacht.“ Das Zweite Vatikanische Konzil habe dann sogar einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der katholischen Kirche herbeigeführt: nicht zuerst den Zusammenschluss in den eigenen Reihen, sondern Solidarität unter allen Menschen zu suchen: „Dabei ist entscheidend, dass das Gefälle zwischen oben und unten nicht auf Dauer gestärkt, sondern in Richtung eines Umgangs miteinander auf Augenhöhe durchbrochen wird.“
Vor diesem Hintergrund hofft Norbert Mette auch auf weitere Zeichen des neuen Papstes: „Seine erste Enzyklika soll sich mit der Optionen für die Armen beschäftigen. Ich hoffe, dass es ihm gelingt, die Dogmatik der Katholischen Kirche und die Sozialethik zusammenzuführen. Wenn es gelingt, diese Dimensionen zu verschmelzen, sind wir einen großen Schritt weiter.“
Berufsschüler leisten konkrete Hilfe
Die Schulen der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel wollen Kinder und Jugendliche – auch vor dem Hintergrund der weltweiten Zusammenhänge – für solch ein solidarisches Miteinander sensibilisieren. Die Leiterin der Katholischen Berufsbildenden Bergschule St. Elisabeth in Heiligenstadt, Gabriele Sachse, stellte das anhand ihres Schulprogramms vor: „Wir haben mit den Schülern zum Beispiel die ‚Big Five‘ entwickelt: Die bestehen aus Respekt, der Zusage, pünktlich und vorbereitet zum Unterricht zu kommen, Verantwortlichkeit im Hinblick auf Ordnung und Umgang mit Ressourcen, Verlässlichkeit und Solidarität.“ Und Solidarität heiße konkret, persönliche Stärken einzubringen und nicht zuzulassen, dass andere ausgegrenzt werden.
2010 habe ihre Schule zum Beispiel das Projekt „Baustein Haiti“ gestartet, um eine durch das Erdbeben völlig zerstörte Schule der Salesianer Don Boscos wieder aufbauen zu können: „Da war viel Initiative und Kreativität gefragt. Und so hatten wir schon nach einem Jahr 50.000 Euro an Spenden zusammen.“ Dies sei nur möglich gewesen, weil das Schulleitbild lebe: „Solidarisch und verantwortlich zu handeln muss den jungen Menschen vorgelebt, von ihnen erlebt und erfahrbar gemacht werden. Nur so können wir sie sensibilisieren für die Nöte der anderen.“
„Brauchen ethisches Bewusstsein“
Wobei Norbert Mette auch die ältere Generation dazu aufrief, die eigene Bereitschaft zur Solidarität zu hinterfragen: „Bisher wollte jede Generation dafür sorgen, dass es der nachfolgenden besser geht. Das funktioniert nicht mehr. Jetzt müssen die Jüngeren für die Renten der Älteren aufkommen. Deshalb sind wir alle gefragt.“
All diese Entwicklungen zeigten: „Ohne eine Ausweitung des ethischen Bewusstseins wird uns das Modell einer solidarischen Gesellschaft nicht gelingen.“ In Deutschland nicht. Und weltweit erst recht nicht.