Die letzte Kerze im alten Kirchenjahr habe ich erwischt. Das nenne ich Glück. Denn ich habe einem guten Freund zum Geburtstag eine „Jeden-Tag-denke-ich-an-dich-Kerze“ in unserer Kirche geschenkt. Davon weiß er nichts, denn ich habe seinen Geburtstag in der letzten Woche vergessen. Erst einen Tag später fiel es mir ein und da ich unterwegs war, konnte ich ihn nicht persönlich erreichen.
So gehe ich heute wie jeden Tag zu unserer Mutter Gottes, um in der mittleren Kerzenreihe ein Licht für ihn anzuzünden. Der Platz gefällt mir, das Licht scheint behütet von anderen Kerzen. Das passt zu meinem Wunsch. Heute, so kurz vorm ersten Advent, ist dieser Platz in der mittleren Reihe schon besetzt und nur noch eine Kerze steht zum Anzünden bereit. Lange hätte ich nicht mehr warten können.
Und dann stehe ich da in unserer Kirche: Dämmerlicht durchflutet den Raum, meine Mitschwester sitzt an der Orgel und übt für den ersten Gottesdienst im neuen Kirchenjahr, Advent! Plötzlich stehe ich mittendrin, zwischen Altem und Neuem, zwischen Dunkel und Licht, zwischen Sattsein und Sehnsucht. Ich sehne mich nach Unterbrechung und eigentlich danach, genau wie die Kerze in der mittleren Reihe behütet zu sein vom Licht.
Der Wunsch für meinen guten Freund hat seinen Weg zu mir gefunden.
Das nenne ich Glück. Wenn doch nur die Sehnsucht bleibt…
Sr. Ruth Stengel