Gemeinschaft feiert die deutsche Gründung in Heiligenstadt vor genau 150 Jahren
Genau an der Stelle, an der vor 150 Jahren die ersten vier Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel in Deutschland eingekleidet wurden, feierte die Gemeinschaft am Sonntagnachmittag gemeinsam mit dem Erfurter Altbischof Dr. Joachim Wanke das 150-jährige Bestehen in Deutschland: in der Heiligenstädter Aegidienkirche.
Generaloberin Schwester Aloisia Höing erklärte zum Auftakt der Feierstunde: „Wie kommt eine von ihrem Ursprung her französische Ordensgemeinschaft nach Deutschland? Wenn wir über diese Frage nachdenken, wird uns bewusst, wie sehr wir geführt werden in unserem Leben, wie viele Fügungen es gibt – in unserem je eigenen Leben, so auch im Leben einer Ordensgemeinschaft.“
1862 hatten vier Schwestern den Anfang gemacht. Heute ist die eigenständige deutsche Kongregation nicht nur in Deutschland, sondern auch in Bolivien, Brasilien, Mosambik, Rumänieen und den Niederlanden im Einsatz. Weltweit gibt es 350 Schwestern. Und allein in Deutschland beschäftigen sie in über 30 Einrichtungen und Diensten mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. An der Feierstunde am Sonntagnachmittag nahmen Schwestern aus allen Provinzen der deutschen Kongregation sowie die Generalleitung der französischen Kongregation mit ihren Regionaloberinnen aus Irland, Italien und den Niederlanden teil. Außerdem waren zahlreiche Mitarbeiter, Politiker, Freunde und Förderer dabei.
Heute ist die Situation für die Gemeinschaft eine ganz andere als vor 100 und auch vor 50 Jahren. Um 1912 stand die Kirche in einem von Konflikten geprägten Europa vor außergewöhnlichen Herausforderungen. Vor 50 Jahren sorgte die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils für eine neue Aufbruchstimmung in der Kirche.
Um 1900 herum zählte die deutsche Gemeinschaft schon fast 600 Ordensfrauen, wie Schwester Aloisia und Generalassistentin Schwester Adelgundis Pastusiak in ihrem Rückblick festhielten. Und auch in den Nachkriegsjahren gab es jedes Jahr zahlreiche Ordenseintritte. Das ist heute nicht mehr so. Doch den Blick in die Zukunft gerichtet unterstreicht Altbischof Joachim Wanke: „Achten Sie nicht auf die Zahlen. Jede Einzelne von ihnen verwirklicht den Auftrag Ihrer Gründerin.“ Dass es weitergeht, belegen die drei derzeitigen Novizinnen, die auch die Feierstunde in der Aegidienkirche mit gestalteten.
In mehreren Abschnitten ließen Schwester Aloisia und Schwester Adelgundis die wechselvolle Geschichte der Gemeinschaft in den vergangenen 150 Jahren noch einmal Revue passieren: Die ersten deutschen Ordensfrauen der Schwestern der Armen Töchter der Barmherzigkeit, wie die französische Kongregation anfänglich hieß, stammten aus dem westfälischen Raum. Der deutsche Pater Hermann Köckemann warb sie an, um die französischen Schwestern bei der Unterrichtung der Kinder deutscher Bierbrauerfamilien in Paris zu unterstützen.
Dann suchten vier Lehrerinnen aus dem Eichsfeld Anschluss an eine Gemeinschaft, und gleichzeitig suchte Schwester Placida Viel nach einer geeigneten Niederlassung in Deutschland. Die Lehrerinnen lebten bereits nach der Regel des Ordensgründers und Reformpädagogen Jean Baptiste de la Salle, die auch für die Schwestern der Armen Töchter der Barmherzigkeit grundlegend war. „Der Franziskanerpater Stephan Störmann kannte die Generaloberin und wusste um deren Wunsch, in Deutschland eine Gründung vorzunehmen.“, berichtete Schwester Adelgundis.
Gleichzeitig versuchte aber ein Lazaristenbruder, die Kölner und Paderborner Vinzentinerinnen zu vereinigen und ihnen als neue Tätigkeit den Schulunterricht zu empfehlen. Da schwanden die Chancen des Beitritts zu einer französischen Gemeinschaft. Stephan Störmann schrieb Schwester Placida sogar, dass sie niemanden mehr für einen Besuch nach Heiligenstadt zu entsenden brauche. Dennoch reisten drei Schwestern aus der Abtei am 24. Dezember 1861 an. Und schnell waren die vier Lehrerinnen von ihnen sehr angetan. „Sieht man nicht göttliche Fügung und Absicht in diesen Ereignissen, so ist völlig unverständlich, warum die französischen Schwestern noch nach Deutschland geschickt worden sind“, erklärte Schwester Adelgundis.
So sei die Brücke zwischen Frankreich und Deutschland geschlagen worden: Mit Maria Magdalena Postel und Placida Viel auf der einen und den vier deutschen Lehrerinnen auf der anderen Seite. Und von da an nahm die Geschichte in Deutschland ihren Lauf. Einen Lauf, den auch der weitere Gang der Geschichte nicht aufhalten konnte: der Kulturkampf und das vorübergehende Exil der deutschen Schwestern in der Abtei und in Toul, der Erste Weltkrieg, das Drängen der deutschen Bischöfe, sich von der französischen Mutterkongregation zu trennen und die daraus folgenden Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich, die Schließung fast aller Einrichtungen und der Entzug der Lehrbefugnisse während der Nazi-Zeit, der Zweite Weltkrieg und die dann folgende Teilung Deutschlands.
Das seien immer wieder Neuanfänge und Brückenschläge gewesen, die auch das Motto des Jubiläumsjahres erklärten: „Brücken bauen im Vertrauen.“
„Schon unsere Ordensgründerin Maria Magdalena Postel hat sich während ihrer 25-jährigen Suche nach einer Bleibe mit ihrer jungen Gemeinschaft gegen viele Ratschläge dazu entschlossen, ihren Weg weiterzugehen, weil sie wusste, dass es Gottes Wille war. Ein sterbendes Mädchen hatte ihr prophezeit, dass ihre Gemeinschaft bei ihrem Tod die größte in der Diözese Coutances sein würde. Und so trat es sein“, blickte Schwester Aloisia zurück. Auf dieses Gottvertrauen hätten seitdem auch viele weitere Schwestern dieser Gemeinschaft gebaut. Man müsse sich fragen, wer heute noch so lange Zeiten der Stagnation ertrage. „Stattdessen aber erkennen wir nach dem Tod der Gründerin mit Erstaunen und Dankbarkeit die Führung der Gemeinschaft durch Gott und die zahlreichen Fügungen, die den Weg der Gemeinschaft in eine Richtung führen, die zuvor niemand erahnt hätte“, so die Generaloberin.
Auch Bischof Wanke sprach den vielen Schwestern, die die Gemeinschaft bis heute getragen haben, seine Bewunderung aus: „Für diesen Einsatz gilt Ihnen ein großer Dank.“ Im Gebet fügte er den Wunsch hinzu, dass Gott auch zukünftig in Menschen die Bereitschaft wecken möge, in Orden einzutreten bzw. im priesterlichen Dienst tätig zu sein.
Die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel bleiben da optimistisch. Schwester Adelgundis erklärte: „Die gesellschaftlichen Veränderungen führen dazu, dass die Bedeutung der Kirche abnimmt und die Ordensgemeinschaften kleiner werden. Aber der Blick in unsere eigene Geschichte zeigt, dass wir auf Gott vertrauen dürfen. Solch eine Phase kann auch ein Prozess der Erneuerung sein.“
Im Anschluss an die Feierstunde betete Altbischof Joachim Wanke mit den rund 300 Schwestern, Mitarbeitern, Freunden und Förderern die Vesper. Dann waren alle Besucher noch zur Begegnung bei einem Imbiss in das Bergkloster eingeladen. Schwester Aloisia zeigte sich sehr angetan von der großen Resonanz und der Stimmung an dem Festtag: „Er beweist, dass wir uns als Gemeinschaft auf eine große und tragfähige Gruppe von Menschen verlassen dürfen.“ Auch das wecke Optimismus für die Zukunft.