Eine Aufnahme aus dem blutigen Machtkampf im Jemen ist am 10.02.2012 zum besten Pressefoto des vergangenen Jahres gekürt worden. Das mit dem World Press Photo Award 2011 ausgezeichnete Foto des Spaniers Samuel Aranda zeigt eine Frau in schwarzem Vollschleier und weißen Handschuhen. In ihren Armen hält sie ihren Sohn, der bei den Demonstrationen gegen den jemenitischen Präsidenten Ali Abdallah Salih im Oktober 2011 verletzt wurde.
Das Foto wurde in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa in einer Moschee aufgenommen, in der Gegner des Präsidenten Saleh ein Feldlazarett eingerichtet hatten.
„Das Foto steht für die gesamte Region“, begründete Jurymitglied Koyo Kouoh in Amsterdam die Auszeichnung im wichtigsten Fotowettbewerb der Welt. „Es präsentiert Jemen, Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien – einfach alles, was während des arabischen Frühlings geschah.“ Das Besondere an dem Foto sei, dass es in einer bedeutenden Entwicklung „eine private, intime Seite“ zeige.
„Das Bild ist von enormer Wucht, ein stummer Schrei. Wir sehen kein Gesicht, kein Blut, keine Träne, sondern Leid, Schmerz und Mitgefühl.“ (WP 11.02.2012) Wie bei den Kunstwerken von Christo enthüllt die Verhüllung und bringt das Wesentliche ins Bild. Jeder kann diese Frau sein mit seinem eigenen Leid, das erlitten wird und sich oft verbirgt und in Stille und Einsamkeit mutig getragen wird.
Ende des 13./Anfang des 14. Jahrhunderts, wurde zum ersten Mal in der Kunstgeschichte Maria mit ihrem toten Sohn dargestellt. Die alte Kirche sah Jesus vorrangig vom Ostergeheimnis her, der Fromme des Mittelalters eher in seiner Menschwerdung. Auch der Frau, die Jesus geboren und von der Krippe bis zum Kreuz begleitet hat, wurde neue Aufmerksamkeit zuteil.
Ich habe mich gefragt, was Menschen seit über 700 Jahren bewegt, mit ihrem Leid und mit ihren Lebensbrüchen zur Pieta zu kommen; in vielen katholischen Kirchen findet man hinten im Kirchenschiff brennende Kerzen vor einer Pieta.
Ich glaube, der Kern ist: Wenn wir „Mutter und Kind“ hören, ist unsere erste Assoziation – zum Glück – das Bild einer jungen Mutter mit ihrem „süßen“ Baby. Die Mutter mit ihrem toten Kind ist sozusagen ein Antibild; eine Pieta stellt das (tragische?) Ende einer Mutter-Kind-Beziehung dar. Dieses Bild berührt uns unmittelbar und trifft uns mitten ins Herz, wenn wir selbst großes Leid in uns tragen. Das muss nicht der Tod eines eigenen Kindes sein. In diesem Antibild wissen wir allen Schmerz aufgehoben: Enttäuschung in der Partnerschaft oder über Freunde und Kinder, schwere Krankheit, Tod oder gar Selbstmord eines lieben Menschen, eigenes Versagen und Schuld, die uns bedrängen. Einer Mutter, die selbst so unfassbares Leid erfahren hat, trauen wir zu, dass sie unsere Schmerzen ernst nimmt und versteht. Bei ihr, die ganz nahe bei Gott ist, wissen wir all das Belastende und Schwere im wörtlichen Sinn aufgehoben. Ja, auch hier gilt: eine Pieta-Darstellung zeigt „eine private, intime Seite“ des Glaubens.
Das Lied [highslide](Lied;Christi Mutter stand mit Schmerzen;300;600)Christi Mutter stand mit Schmerzen
bei dem Kreuz und weint von Herzen,
als ihr lieber Sohn da hing.
Durch die Seele voller Trauer,
schneidend unter Todesschauer,
jetzt das Schwert des Leidens ging.
Welch ein Schmerz der Auserkornen,
da sie sah den Eingebornen,
wie er mit dem Tode rang.
Angst und Jammer, Qual und Bangen,
alles Leid hielt sie umfangen,
das nur je ein Herz durchdrang.
Ist ein Mensch auf aller Erden,
der nicht muss erweichet werden,
wenn er Christi Mutter denkt,
wie sie, ganz von Weh zerschlagen,
bleich da steht, ohn alles Klagen,
nur ins Leid des Sohns versenkt?
Ach, für seiner Brüder Schulden
sah sie ihn die Marter dulden,
Geißeln, Dornen, Spott und Hohn;
sah ihn trostlos und verlassen
an dem blutgen Kreuz erblassen,
ihren lieben einzgen Sohn.
O du Mutter, Brunn der Liebe,
mich erfüll mit gleichem Triebe,
dass ich fühl die Schmerzen dein;
dass mein Herz, im Leid entzündet,
sich mit deiner Lieb verbindet,
um zu lieben Gott allein.
Drücke deines Sohnes Wunden,
so wie du sie selbst empfunden,
heilge Mutter, in mein Herz!
Dass ich weiß, was ich verschuldet,
was dein Sohn für mich erduldet,
gib mir Teil an seinem Schmerz!
Lass mich wahrhaft mit dir weinen,
mich mit Christi Leid vereinen,
so lang mir das Leben währt!
An dem Kreuz mit dir zu stehen,
unverwandt hinaufzusehen,
ist’s, wonach mein Herz begehrt.
O du Jungfrau der Jungfrauen,
woll auf mich in Liebe schauen,
dass ich teile deinen Schmerz,
dass ich Christi Tod und Leiden,
Marter, Angst und bittres Scheiden
fühle wie dein Mutterherz!
Alle Wunden, ihm geschlagen,
Schmach und Kreuz mit ihm zu tragen,
das sei fortan mein Gewinn!
Dass mein Herz, von Lieb entzündet,
Gnade im Gerichte findet,
sei du meine Schützerin!
Mach, dass mich sein Kreuz bewache,
dass sein Tod mich selig mache,
mich erwärm sein Gnadenlicht,
dass die Seel sich mög erheben
frei zu Gott in ewgem Leben,
wann mein sterbend Auge bricht!
Gereimte Übertragung, Heinrich Bone 1847[/highslide] entstand etwa zeitgleich mit der Darstellung der Pieta (Lateinischer Originaltext gedichtet um 1200 – 1300). Es betrachtet das Ungeheuerliche der Liebe Gottes bis zum Tod am Kreuz und wie sich diese atemberaubende Botschaft über Maria den Weg zum Herzen des Menschen sucht.
Maria ist dem Leid nicht ausgewichen. Ja, sie birgt das ganze Elend in ihrem mütterlichen Schoß, so dass daraus neues Leben werden kann. So wird dieses Bild der Trostlosigkeit zum Trost, dieses Bild der Hoffnungslosigkeit zum Zeichen verlässlicher Hoffnung. Der Betrachter wendet sich im Gebet an Maria: „O du Mutter, Brunn der Liebe, mich erfüll mit gleichem Triebe, dass ich fühl die Schmerzen dein; dass mein Herz, im Leid entzündet, sich mit deiner Lieb verbindet, um zu lieben Gott allein.“ Mutig und gewagt bittet er weiter: „Drücke deines Sohnes Wunden, so wie du sie selbst empfunden, heilge Mutter, in mein Herz.“ Jesus ist der verwundete Arzt, der uns heilen will. Geheimnis des Glaubens: Durch seine Wunden sind wir geheilt.
Schwester Maria Ignatia Langela