Hafid Sarkissian schaffte den Weg von der Förderschule zum Abitur
Über 400 junge Menschen haben in diesem Jahr an den Gymnasien und den Berufskollegs der Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel ihr Abitur erreicht. Aber wohl kein anderer Weg zur Allgemeinen Hochschulreife war so ungewöhnlich wie der von Abdel Hafid Sarkissian, der nicht nur körperbehindert ist, sondern in der Grundschule auch als verhaltensauffällig und lernbehindert galt.
Noch immer sieht der 21-Jährige ungläubig auf sein Zeugnis: „Vor sieben Jahren hätte noch niemand gedacht, dass ich überhaupt einen Schulabschluss schaffe.“ Jetzt hat er ein gutes Abitur mit der Note 2,1.
Abdel Hafid Sarkissian lebt im Josefsheim in Bigge. Er leidet an einer spastischen Lähmung und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Diese Behinderung und eine schwierige Kindheit trugen dazu bei, dass er ein Außenseiter wurde. Von der Grundschule aus kam er zunächst an die Olsberger Förderschule an der Ruhraue, wo er zunächst ein schlechter Schüler blieb. „Erst mit zwölf, dreizehn Jahren kam ein Leistungsschub. Da wusste ich, worum es ging“, blickt er zurück.
„Hafid zeigt, welche Entwicklungen ein Mensch in seiner Kindheit und Jugend durchlaufen kann. Wenn man ihn entsprechend unterstützt“, sagt Lehrerin Sabine Wegener. Fördermittel für behindertengerechte Umbauten oder personelle Unterstützung hat die Schule nicht erhalten, bedauert die Oberstufenkoordinatorin des Berufskollegs – „obwohl die Integration von Benachteiligten und Behinderten an Regelschulen doch politisch gewollt ist.“
Körperbehinderung bedeutete Herausforderung für die Schule
Für Hafid gab es eine ganze Menge zu organisieren: dass er mit dem Rollstuhl alle Klassenräume erreicht. Dass ihm die Teilnahme an den Klassenfahrten möglich ist. Und dass die verlängerten Aufsichtszeiten bei seinen Klausuren von Lehrern übernommen werden. „Durch meine Lähmung ist meine Handschrift kaum zu lesen und ich kann auch nicht so schnell schreiben. Vieles mache ich deshalb auch am PC. Dafür bekam ich einen Nachteilsausgleich“, erklärt Hafid Sarkissian. Anfangs wussten die Lehrer nicht, wieviel Ausgleichszeit angemessen sei, ohne ihn zu bevorzugen. „Um das auszutesten, mussten wir unsere eigene Methoden entwickeln“, so Sabine Wegener.
All diesen Mehraufwand hat die Schule für Hafid gern auf sich genommen. „Denn wir sind überzeugt, dass Schülern mit Handicap der Besuch einer Regelschule ermöglicht werden muss. Leider verhindern schon die baulichen Gegebenheiten zu oft, dass die politisch gewollte Inklusion selbstverständlich wird“, sagt Sabine Wegener.
Die ganze Klasse packte mit an
„Dass alles recht problemlos lief, ist vor allem Hafids Mitschülern zu verdanken“, weiß Stufenleiter Andreas Krapp. „Da gab es nie Diskussionen. Die Schüler haben immer geholfen – täglich. Ob es darum ging, ihn die Treppe hochzutragen oder ihm beim Wintersporttag in den Lift zu helfen. Alle haben an ihn gedacht. Er war fester Bestandteil der Gruppe.“ Hafid sang auch im Chor mit. Und ehrenamtlich engagierte er sich in der vom Berufskolleg betreuten Offenen Ganztagsschule in Velmede.
Diese Einbindung sei sicher eine Stärke dieser Schule, betont Sabine Wegener: „Zumal wir, anders als das Regelgymnasium, nicht im Kursbetrieb, sondern im Klassenverband arbeiten. Dadurch wächst natürlich der Zusammenhalt.“
Auch deshalb hatte sich Hafid Sarkissian diese Schule ausgesucht. „Als ich zunächst den Hauptschul- und dann auch den Realschulabschluss mit guten Noten geschafft hatte, wollte ich hierher. Die Atmosphäre hat mir sofort gefallen.“ Sabine Wegener gibt zu, dass sie anfangs skeptisch war: „Der Unterricht an der Förderschule hatte ein anderes Tempo.“ Aber Hafid habe sich schnell eingefunden.
Rückblickend sagt er: „Tatsächlich habe ich im Laufe der Jahre einen großen Ehrgeiz entwickelt. Dass die Menschen um mich herum immer gesagt haben ‚Das schaffst Du nicht‘, hat mich angespornt. Erst in der Stufe 12 hatte ich das Gefühl: Jetzt bin ich angekommen. Da hatte ich endlich auch `mal Freizeit.“ Und die teilte sich der Schüler mit seinen Klassenkameraden. „An der Förderschule hatte ich immer mit Menschen zu tun, die selbst ein Handicap haben. Wenn man an einer Regelschule ist, klappt Integration viel besser. Denn die Schule ist das eine, die soziale Kompetenz das andere. Die habe ich hier erst entwickelt.“
Mit Rehabilitationspädagogik anderen Behinderten helfen
Jetzt will der Abiturient gern ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten und anschließend Rehabilitationspädagogik studieren – „Vielleicht kann ich dann dazu beitragen, dass auch andere Behinderte mehr aus sich herausholen. Und dass Integration nicht nur ein Wort bleibt.“ Dass es bis dahin noch ein langer Weg ist, merkt er jetzt schon wieder: Seine ersten Bewerbungen auf ein Freiwilliges Soziales Jahr wurden abgelehnt. Auf Behinderte sei man nicht eingestellt…