Prof. Dr. Winfried Hardinghaus wirbt für einen menschlichen Umgang mit dem Sterben
„Das wichtigste ist: Zuhören, Berühren, Sprechen, Dasein.“ Mit diesen vier Begriffen erklärt Professor Dr. Winfried Hardinghaus das Grundprinzip einer menschlichen Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden. Und die gelten seiner Ansicht nach auch in einer Zeit weit entwickelter Pharmazie und hoch technisierter Apparatemedizin. Am Donnerstagabend referierte der renommierte Arzt und Wissenschaftler beim Placida-Empfang der Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel im Bergkloster Heiligenstadt. Und er mahnte dazu, den Tod in unserer Gesellschaft weniger zu tabuisieren: „Er gehört zum Leben dazu.“
Daran erinnerte auch Generaloberin Schwester Aloisia Höing: „Jeder von uns kennt Begegnungen mit alten, kranken und sterbenden Menschen. Auch in unseren vielen Einrichtungen.“ Deshalb habe man sich ganz bewusst für dieses Thema entschieden.
Professor Hardinghaus fand dazu in der Aula der Katholischen Bergschulen St. Elisabeth vor rund 200 Gästen einen sehr lebendigen Zugang: „In unseren Palliativstationen und -einrichtungen begegnen wir unseren Gästen auf Augenhöhe. Und wir widmen uns ihren Fragen und Problemen als Team: Mit Pflegekräften, ehrenamtlichen Begleitern und Medizinern.“
Dieses partnerschaftliche Modell habe sich in allen wohnlich eingerichteten Palliativstationen bewährt, die dem von ihm mit auf den Weg gebrachten Modellprojekt „Spes Viva – in lebendiger Hoffnung“ angehören. Unter den Krankenhäusern, die dieses Modell umsetzen, sind auch das Gertrudis-Hospital in Herten-Westerholt sowie das St. Elisabeth-Krankenhaus in Dorsten. Beide Häuser gehören zu dem Katholischen Klinikum Ruhrgebiet Nord, bei dem die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel Mitgesellschafter sind.
80 bis 90 Prozent der Menschen sterben in einer Institution
„Wer erlebt heute noch den Tod seiner Großmutter zuhause?“, fragte der Ärztliche Direktor dreier Krankenhäuser. Vor 100 Jahren sei das der Normalfall gewesen. „Heute sterben 80 bis 90 Prozent der Menschen in einer Institution. „Das Thema Tod wird tabuisiert. Erst jetzt, wo die ambulante Palliativmedizin an Bedeutung gewinnt, kehrt es allmählich wieder in das Bewusstsein vieler Menschen und Familien zurück.“ Aus der Erfahrung zahlloser Gespräche mit Patienten heraus ermutigte Prof. Hardinghaus dazu, sich auch schon zu jenen Zeiten damit auseinanderzusetzen, in denen es einem noch gut geht: „Da sollte man auch eine Patientenverfügung erstellen, die dann gilt, wenn man als Sterbender nicht mehr befragt werden kann.“
Wichtig sei aber, eine solche Verfügung alle zwei Jahre zu erneuern. „Wir hatten schon einmal den Fall, dass dem Arzt nur eine veraltete Verfügung vorlag, die jegliche Gerätemedizin verbot.“ Dennoch wurde ein Wiederbelebungsversuch an der Patientin vorgenommen. Und die sei darüber am nächsten Morgen sehr glücklich gewesen: „Sie erklärte uns: ‚Diese Verfügung war auf Druck meines Mannes entstanden. Der hatte eine Freundin, die mit ins Haus ziehen wollte‘.“
Das Thema Tod und witzige Anekdoten schlossen sich in dem Vortrag von Prof. Hardinghaus nicht aus: „Auch weil Humor für den Sterbenden eine wichtige Medizin ist, die durch kein Medikament ersetzt werden kann.“
Ziel der Palliativmedizin ist es, Lebensqualität zu verbessern
Ziel der Palliativmedizin sei es, die Lebensqualität in der letzten Phase vor dem Tod noch einmal zu verbessern: „Dabei dürfen wir den Prozess des Sterbens nicht unter allen Umständen aufhalten wollen.“ Vor diesem Hintergrund kritisierte Hardinghaus auch Werbung für äußerst teure Medikamente, die schwer krebskranken Patienten noch einmal drei Monate zusätzliche Lebenszeit versprechen: „Denn die Lebensqualität erhalten sie dadurch nicht zurück.“ Das Geld investiere man besser in den Ausbau der Palliativmedizin, damit es dem Menschen noch möglichst lange gut geht: „Nur bei zwei Prozent der Patienten lässt sich der Schmerz nicht bekämpfen. Sterbehilfe verneinen wir deshalb grundsätzlich. Aber wenn es Möglichkeiten gibt, den Menschen etwa durch einen herbeigeführten Schlaf von Schmerz zu befreien, nehmen wir die Beschleunigung des Todes in Kauf.“
Wichtig sei auch, die Wünsche des Sterbenden zu akzeptieren: „Ich erinnere mich an eine 34-Jährige, sterbenskranke Frau, die über ihre Krankheit niemals sprechen wollte. Die Angehörigen akzeptierten das nicht. Doch dieses Ignorieren war ihre persönliche Bewältigungsstrategie. Und auf dem Sterbebett bedankte sie sich, dass sich alle daran gehalten hatten.“
Parallelen zur seligen Schwester Placida
Dieses Verhalten erinnerte Hardinghaus auch an das Leben der seligen Schwester Placida Viel, die die ersten Niederlassungen der Ordensgemeinschaft in Deutschland gründete und dabei ihre eigene Angst überwinden musste: „Ihre Oberin akzeptierte ihre Angst. Und dann hat die junge Schwester ihre eigene Methode gefunden, damit umzugehen und sie zu besiegen.“ Den Lebensweg der seligen Placida, dem der Placida-Empfang gewidmet ist, hatte der Rektor des Bergklosters Heiligenstadt, Bernd Kucklick, in der Vesper zu Beginn des Abends skizziert.
Seinen Vortrag schloss der Palliativmediziner mit der Bitte, Sterbenden nach Möglichkeit ihren letzten Wunsch zu erfüllen: „Manchmal ist es nur der Hund, den sie noch einmal streicheln wollen. Vielleicht ist es aber auch ein Besuch im Fußballstadion. Selbst dem haben wir einem jungen, schwerkranken Mann ermöglicht – mit ärztlicher Begleitung. Und einer Frau haben wir ein Bett im Krankenhausgarten gebaut.“ In solchen Situationen kämen durchaus Emotionen auf: „Aber die müssen in dieser Phase auch sein. Sie sind menschlich. Da darf man als Arzt schon mal weinen.“