Schwester Aloisia Höing referierte beim Placida-Empfang in Heiligenstadt vor 120 Gästen über die Zukunft der Ordensgemeinschaften
Heiligenstadt. Der christliche Glaube und christliche Werte stehen heute nicht mehr im Mittelpunkt des Alltags. Ordensgemeinschaften haben deshalb Nachwuchsprobleme und suchen nach neuen Antworten auf die Fragen der Zeit. Dass es Antworten gibt, bewies Schwester Aloisa Höing beim Placida-Empfang am Freitag, 08. Mai, im Bergkloster Heiligenstadt. Dort betonte sie, dass Klöster ihre Türen für fragende und suchende Menschen offen halten sollen – „aber wir müssen uns als Ordensleute auch öffentlich einbringen, unsere Zurückhaltung aufgeben, und deutlich machen, dass unsere Werte wichtig sind für die Gesellschaft.“
Vesper in der Klosterkirche
Begonnen hatte der traditionelle Placida-Empfang mit einer Vesper in der Bergklosterkirche. Die erinnerte mit zahlreichen Texten an den brasilianischen Bischof und Befreiungstheologen Dom Helder Camara, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Rektor Bernd Kucklick stellte eine Verwandtschaft zwischen seinem Einsatz für mehr Gerechtigkeit und dem befreienden Wirken der seligen Schwester Placida Viel fest. Sie hatte als direkte Nachfolgerin der Ordensgründerin die ersten deutschen Niederlassungen der Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel gegründet und viele Grenzen überwunden: „Sie ist nicht auf eigenes Machtstreben aus gewesen. Sie hat sich immer am Wohl der ganzen Gemeinschaft orientiert. Und weil sie nicht auf Ehre aus war, konnte sie mit Besonnenheit, Klugheit, Ruhe und Demut die Eintracht erhalten nach dem Grundsatz: Um gut genug zu sein, muss man ein wenig zu gut sein.“ Mit dieser Einstellung könne sie uns in der heutigen Zeit, wo viele ihr eigenes Ich in den Mittelpunkt stellten, ein wunderbares Vorbild sein.
Das Leben und Wirken von „Mutter“ Placida erinnere an den Apostel Paulus, der gesagt habe: „In Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst.“ Mit Blick auf diese Worte stellte Rektor Kucklick fest: „Wie glücklich könnte sich die Völkergemeinschaft doch schätzen, gehörten diese Worte zum Verhaltenskodex der Nationen.“
Brennende Fragen
Nach der Vesper versammelten sich die rund 120 Ordensschwestern, Mitarbeiter und Gäste im Placidasaal des Bergklosters. Hier sprach Schwester Aloisia, die auch Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) und somit Sprecherin für rund 30.000 Ordensleute ist, zum Thema „Ordensgemeinschaften im Wandel der Zeit – unser Auftrag heute“.
Die Frage nach dem Auftrag unserer Zeit beschäftige alle Kongregationen brennender denn je: „Vieles ist im Wandel, Ordensnachwuchs fehlt in fast allen Gemeinschaften. Unsicherheit, Angst und Sorge breiten sich aus mit Blick auf die Zukunft.“ Das sei vor einem halben Jahrhundert noch grundlegend anders gewesen: „Damals war das Leben noch viel mehr von der Religion bestimmt und gestaltet. Orden – insbesondere tätige Frauengemeinschaften, hatten große Häuser – Schulen, Krankenhäuser, Altenheime.“ Auch Novizinnen habe es noch in großer Anzahl gegeben.
Situation erfordert Umdenken
Heute hieße es für viele Gemeinschaften, von solchen Gegebenheiten Abschied zu nehmen: Abschied von großen Nachwuchszahlen, von Einrichtungen, die aufgebaut schienen für eine Ewigkeit, und auch von Leitungsfunktionen. Gleichzeitig erfordere diese Situation aber auch ein Um- und Neudenken und die Beantwortung der Frage nach der Zukunft der Gemeinschaft. „Ordensleben wird am Leben bleiben, wenn es am Leben bleibt“, zitierte die Generaloberin aus einem Zeitungsartikel. Sie übersetze das mit der Aufforderung, lebendig, kreativ und offen zu bleiben.
Die Theologin Sr. Melanie Wolfers habe erklärt: „Wir befinden uns im Übergang in eine technologische Gesellschaft und in eine Wissensgesellschaft. Dadurch wandeln sich nicht nur die Kirchlichkeit oder die Christlichkeit, sondern die Art der Religiösität überhaupt.“
Schwester Aloisia betonte, dass es in diesem Prozess auch bei den Menschen eine Sehnsucht nach Neuorientierung gebe: „Eine Sehnsucht nach spiritueller Tiefe. So nehmen wir viele Suchbewegungen von Menschen wahr, denen Materialismus, Konsum und oberflächliches Leben nicht genug sind.“ Vielen sei Gott ganz und gar abhanden gekommen – sie hätten einfach keine Gelegenheit gehabt, ihn kennenzulernen.
„Wohnung werden für Suchende“
„Wenn wir aus diesem Wissen jeden Tag neu zu leben versuchen, können wir auch eine Vision von der Zukunft entwickeln. Und diese Vision brauchen wir“, unterstrich die DOK-Vorsitzende.
Dazu gehöre zunächst, dass die Ordensgemeischaften Orte bereitstellen, wo der Sehnsucht nach Gott Ausdurck gegeben werden darf. Sie müssten aber auch neue pastorale Orte entdecken und – wie Sr. Melanie Wolfers es ausdrückt – „dort Wohnung nehmen und Wohnung werden für den Suchenden.“ Die Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel böten das beispielsweise in ihrer Schulsozialarbeit, im Mutter-und-Kind-Wohnen des Julie-Postel-Hauses oder gegenüber Alten und Kranken an – nicht nur in den Einrichtungen der Seniorenhilfe oder den Kliniken, auch in der Pastoral- und Hospizarbeit.
Orte der Gastfreundschaft
Schwester Aloisia stellte vor diesem Hintergrund klar, dass Ordensgemeinschaften nahe bei den Menschen und Orte der Gastfreundschaft sein müssten: „Es braucht Orte, wo die Menschen erfahren, dass die Kraft dieser christlichen Botschaft die Gesellschaft verändern kann. Das gelte besonders für die Schulen, Erziehungseinrichtungen und Ausbildungsbetriebe der Ordensgemeinschaft. Gerade in diesen Einrichtungen, aber auch darüber hinaus sei die Zusammenarbeit mit weltlichen Mitarbeitern, Freunden und Förderern „auf allen Ebenen und zum Wohl der Wertschätzung der uns anvertrauten Menschen“ immer wichtiger.
Die Schwestern der hl. Maia Magdalena Postel betreiben allein in Deutschland über 30 Einrichtungen und Dienste mit über 3.000 Beschäftigten. Weitere kommen in Brasilien, Bolivien, Mosambik und Rumänien hinzu.
Öffentlich einbringen
Aus dieser Tradition, dieser Kompetenz und diesem Selbstverständnis heraus müsse es gelingen, „sich in die öffentliche Debatte unserer säkularisierten Gesellschaft einzumischen.“ Dann blicke sie als Ordensfrau auch zuversichtlich in die Zukunft: „So wird unser Tun und Denken geweitet im Offensein und im Einsatz an den Brennpunkten unserer Gesellschaft, wo wir versuchen, das Leben um Gottes Willen radikal – das heißt, aus dem tiefen Verwurzeltsein in Gott – zu leben.“ Dieses Charisma auch mit anderen Menschen zu teilen, „macht uns Mut und lässt uns die nächsten Schritte tun.“
Die 120 aufmerksamen Zuhörer belohnten diese Vision zunächst mir üppigem Applaus. Danach durften sie in den siebenstimmigen Kanon einstimmen, den Schwester Theresita Maria Müller anlässlich des Generalkapitels im Januar 2009 komponiert hatte und der das Thema dieser Versammlung ebenso wiedergibt wie das dieses Abends: „Ich will Euch Zukunft und Hoffnung geben.“
Visionäre Gespräche
Abschließend waren die Gäste zum Empfang in den Thomas-Morus-Saal geladen, wo die Auszubildenden aus der Hauswirtschaft der berufsbildenden Bergschule mit der Klosterküche wieder gemeinsam einen gehaltvollen Imbiss vorbereitet hatten. Bei lebhaften und sicher auch visionären Gesprächen klang der Abend dort aus.
Die Bilder geben Eindrücke des Placida-Empfangs in Heiligenstadt wieder: Oben Aufnahmen von der Vesper in der Klosterkirche, wo Rektor Bernd Kucklick an das Leben der seligen Schwester Placida erinnert. Darunter Bilder vom Festvortrag der Generaloberin im Placidasaal. Für den musikalischen Rahmen sorgte Lehrer Bernhard Gerlach von der berufsbildenden Bergschule in Heiligenstadt. Abschließend studierte Gabriele Sachse, stellvertretende Leiterin der berufsbildenden Schule, den siebenstimmigen Kanon mit den Besuchern ein. Schließlich gab es Gelegenheit, die Gespräche im Thomas-Morus-Saal fortzuführen. Dort hatten die Auszubildenden einen Imbiss vorbereitet. Alle Fotos: SMMP