Dreistündiger Groß-Einsatz in Herten-Westerholt. Station evakuiert – 15 Schwerverletzte geborgen
Herten-Westerholt. „Da vorne liegt noch einer“, ruft Stationsleiter Karl-Heinz Gallner zwei Feuerwehrmännern zu, die sich mit schwerem Atemgerät von Tür zu Tür voran bewegen. Sie sehen nur wenig: Die Räume sind verqualmt. Die Deckenverkleidung ist zum Teil heruntergefallen. Aber jetzt entdecken sie zwei Beine, die unter einem umgestürzten Holzgerüst klemmen.
Es ist nur eine Übung. Doch immerhin einer der größten Feuerwehreinsätze seit Jahren im Kreis Recklinghausen. Und die erste Probe eines Ernstfalls seit 1995 am Gertrudis-Hospital in Herten-Westerholt: 110 Feuerwehrleute und 35 Fahrzeuge aus einem Umkreis von 20 Kilometern setzten sich nach der Alarmierung am Freitag um 17.43 Uhr in Bewegung. Die Information, die sie erhielten: Ein starker Sturm hat das Baugerüst umgeworfen und ein Blitzschlag einen Brand ausgelöst. Es gibt viele Verletzte.
Idee gemeinsam entwickelt
Als der Bandschutzbeauftragte des Gertrudis-Hospitals, Jürgen Zwick, gemeinsam mit der Feuerwehr den neuen Katastrophenschutz-Plan für das Krankenhaus ausgearbeitet hatte, war die Idee zu dieser Übung entstanden. „Hier wird gerade angebaut: Wann haben wir schon einmal die Möglichkeit, in einem solchen Rohbau, der die Struktur einer Krankenhausstation hat, zu üben?“ fragt Stefan Lammering von der Feuerwehr Herten. Der Abteilungsleiter der Einsatzvorbereitung war am Freitagnachmittag als einer der ersten vor Ort. Und einer der wenigen, die von der Übung wussten. Die meisten anderen Feuerwehrleute sind ahnungslos.
Echte Panik vermieden
Ebenso wie die meisten Mitarbeiter und Patienten des Krankenhauses. „Einige haben wir natürlich eingeweiht. Denn als die Feuerwehren vorfuhren, mussten wir ja vermeiden, dass Unruhe entsteht. Also wurden unsere Patienten und Angestellten zeitgleich mit dem Eintreffen der Fahrzeuge aufgeklärt“, erklärt Dr. Karl Ott, der medizinische Direktor des Hauses. Auch für das Gertrudis-Hospital stellt der Feuerwehreinsatz die Probe eines Ernstfalls dar. Ein Großteil der Mitarbeiter, die sich schon im Wochenende befinden, wird per Alarmruf herangeholt. „Dazu wähle ich eine Nummer, die automatisch alle Telefone klingeln lässt“, erklärt Walburga Schmidt, die Leiterin der Notaufnahme, das Prinzip. 30 Mitarbeiter melden sich innerhalb kurzer Zeit. Unterdessen richtet das Krankenhaus in seinem Keller schon einen Krisenstab ein. Von dort aus versucht man mit der Einsatzleitung der Feuerwehr zu kommunizieren.
Wunden aus Theaterschminke
Schon um zehn vor sechs treffen die ersten Fahrzeuge ein. Feuerwehrleute sichten das Gelände, befreien die Verletzten aus den Trümmern. Einige klemmen im Gestänge des Gerüsts. Andere sind herabgestürzt und schreien um Hilfe.
15 Laiendarsteller der Gruppe für „Realistische Unfall-Darstellung“ von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) spielen die Opfer. Gekonnt. „Helft mir doch!“, schreit der 17-jährige Tobias Gehrt verzweifelt. Sein T-Shirt hängt ihm zerfetzt am Leib. Mit roter Theaterschminke hat er sich Gesicht und Bauch eingeschmiert. Sogar eingeklemmte Beine und abgeschlagene Hände lassen sich mit diesen Mitteln täuschend echt modellieren…
Mit Tragen zum Sammelplatz
Mit Tragen werden die Opfer für Erste-Hilfe-Leistungen zum Sammelplatz gebracht, von dort aus zum Behandlungsplatz getragen. Den hat die Feuerwehr soeben 150 Meter entfernt am Bahnhof errichtet. „Somit liegt er außerhalb des Gefahrenbereiches“, erklärt der Hertener Feuerwehr-Chef Theo Schiffmann hinterher das Procedere. Bewohner beobachten die Szenen irritiert. Einige rufen sogar die Polizei an und werden aufgeklärt.
Oberbrandmeister Wilhelm Melchers trägt eine weiße Weste mit der Aufschrift „BHP“ für Behandlungsplatz. Er nimmt die Daten der herangebrachten Schwerverletzten auf. „Kopfverletzung? Bewusstlos? Rüber in Zelt 2…“ Eine Geste weist die Träger weiter.
In Wirklichkeit hat der Feuerwehrmann ein Unglück dieses Ausmaßes noch nicht erlebt: „Und ich hoffe auch, dass es so bleibt. Aber man kann nie wissen, was passiert.“ Er nennt das Feuerwerks-Unglück in Enschede als Beispiel: „Deshalb macht es Sinn, sich auf solche Situationen vorzubereiten.“
Erste Operationen
Erste operative Eingriffe dulden keinen Aufschub mehr – bevor die Krankenwagen vorfahren und die Opfer in das Marienkrankenhaus nach Marl transportieren. Derweil sind die Löscharbeiten am Gertrudis-Hospital im vollen Gange.
Auch die Rauchopfer sammeln sich am Behandlugnsplatz und werden im Kleinbus zur weiteren Untersuchung weggebracht. Sie fühlen sich von der Feuerwehr gut in Gewahrsam genommen: „Es hat 20 Minuten gedauert, bis die Feuerwehr in meinem Zimmer war,“ erzählt Julia Friedrich. Die Zwölfjährige spielt eine der rund 15 Rauchvergifteten. In dem stickigen Nebel sei ihr diese Zeit aber schon wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen. „Wie muss es einem dann erst ergehen, wenn es wirklich brennt?“
Ernstfall bleibt hoffentlich Theorie
Eine Situation, die das Gertrudis-Hospital hoffentlich nie wirklich erlebt. Aber wenn es einmal zum Ernstfall kommt, scheint die Klinik gut gerüstet. Zumindest stellte ihr Feuerwehr-Chef Theo Schiffmann nach Abschluss der rund dreistündigen Übung ein gutes Zeugnis aus: „Die Alarmierung hat gut funktioniert. Die Zusammenarbeit war prima.“ Am Ende hat die Übung sowohl der Feuerwehr als auch dem Krankenhaus viel gebracht.