Die Teams in den Seniorenheimen erhalten den Alltag soweit es geht aufrecht – und werden erfinderisch
Normalerweise beginnt der Frühling im Reginenhaus in Rhynern mit einem großen Fest. Das wird an diesem Wochenende wesentlich kleiner ausfallen. „Wir bleiben unter uns, im engen Rahmen. Und wir werden Abstand halten“, erklärt Heimleiterin Regina Behr. Trotz Corona-Pandemie versuchen die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Häusern der Seniorenhilfe SMMP das Alltagsleben aufrechtzuerhalten. Dazu gehören auch die Vorlesestunden, Kreativangebote oder die Seniorengymnastik. Besuche von Angehörigen sind dagegen weitgehend untersagt.
„Als wir die Beschränkungen Anfang der zurückliegenden Woche eingeführt hatten, mussten wir noch viele Diskussionen führen. Mittlerweile herrscht überall Einsehen“, erklärt Andrea Spielmann, Leiterin des Hauses St. Josef in Heiden nahe der niederländischen Grenze im Münsterland. Viele der üblichen Besucherinnen und Besucher seien inzwischen dazu übergegangen, an der Pforte etwas für ihre Mutter, den Großvater oder die liebe Tante abzugeben. „Wir dokumentieren dann mit einem Foto, dass wir den Gruß weitergereicht haben und schicken das per Mail an die Angehörigen“, erläutert Pflegedienstleiterin Irmhild Scheffner.
Die Bewohnerinnen und Bewohner wiederum schreiben jetzt Karten an ihre Kinder oder Enkel: „Das ist auch etwas Neues. Und natürlich freuen sich die Angehörigen darüber sehr. Denn wann haben sie zum letzten Mal von ihren Eltern oder ihren Großeltern Post bekommen?“
Im Haus Maria Regina am östlichen Rand des Münsterlandes in Wadersloh-Diestedde bietet man für die Gestaltung dieser Karten schon Bastelstunden an. Heimleiterin Antje Rostalski weiß: „Wir wollen unsere Bewohnerinnen und Bewohner bei Laune halten. Deshalb müssen wir uns etwas einfallen lassen. Viele wollen mal raus – und dürfen es nicht. Das wird in den kommenden Wochen nicht einfacher werden.“
Die Pflegekräfte minimieren ihre Kontakte
Auch für die Pflegekräfte gelten strenge Auflagen: Sie müssen soweit es geht ausreichend Abstand zu den Bewohnerinnen und Bewohnern, aber auch untereinander halten. Ihre Dienste und Aufgaben sind so organisiert, dass die mit möglichst wenig Senioren in Kontakt kommen. Zudem soll jeder Einzelne seine Kontakte in die Außenwelt auf ein Minimum begrenzen, um die Infektionsgefahr zu minimieren.
In Diestedde kommt derzeit noch nicht einmal die Frisörin ins Haus. „Aber wir haben eine Pflegekraft, die ausgebildete Frisörin ist. Die wird das jetzt übernehmen“, sagt Antje Rostalski. Not mache eben erfinderisch.
Ebenso finden in den Häusern derzeit keine Gottesdienste statt. Der Pfarrer muss draußen bleiben. „Bei uns nehmen üblicherweise viele Senioren daran teil. Deshalb sind wir jetzt dazu übergegangen, wenigstens kurze spirituelle Impulse anzubieten. Etwa vor dem Mittagessen, wenn die Bewohnerinnen und Bewohner in den verschiedenen Wohnbereichen zusammenkommen“, erklärt Andrea Spielmann.
Und selbst bei runden Geburtstagen bleiben die engsten Familienangehörigen außen vor. „Wir haben am Montag eine Dame, die 90 wird. Und natürlich wollen wir ihren Geburtstag feiern“, erzählt Regina Behr. Deshalb verspricht sie: „Eine leckere Torte wird es auf jeden Fall geben.“
Im Haus St. Martin in Herten-Westerholt musste sogar das für den 2. April angesetzte Richtfest für den gerade entstehenden Neubau abgesagt werden. In der vergangenen Woche wurden alle bereits eingeladenen Gäste darüber informiert. „Da findet jetzt nichts statt“, sagt Heimleiterin Gisela Gerlach-Wiegmann. Immerhin ist sie erleichtert, dass die Bauarbeiten nebenan wie geplant weiterlaufen.
Aus diesem Grund gebe es natürlich viel Bewegung zwischen dem Seniorenheim und der Baustelle: „Aber jeder, der hier aus irgendeinem Grund herein muss, muss sich vorher in eine Liste eintragen. Damit im Zweifelsfall nachvollziehbar bleibt, wer hier war und welche Infektionsketten bestehen könnten.“
Materialbeschaffer sind begehrt
Allmählich kristallisiert sich in diesen Tagen in den Seniorenheimen eine neue Schlüsselfunktion heraus: „Das des Materialbeschaffers oder der Materialbeschafferin“, erklärt Irmhild Scheffner. So werde es immer schwieriger, Hygieneartikel, Einweghandtücher oder Reinigungsmittel zu organisieren. „Ging das im Februar über die verschiedenen Lieferanten meist noch von einem auf den anderen Tag, dauert es jetzt schon eine Woche oder länger“, berichtet Andrea Spielmann. Lieferfristen würden inzwischen kaum noch angegeben.
„Das bedeutet: Wenn wir Ware erhalten, müssen wir gleich auch schon neu bestellen“, sagt Irmhild Scheffner. Das werde sich in den kommenden Wochen verstärken. Immerhin verfüge das Haus St. Josef noch über ausreichend Vorräte. „Auch mit Schutzkleidung, Handschuhen und Masken sind wir erst einmal gut ausgestattet.“ Die bräuchten die Seniorenheime ja auch, wenn ein Norovirus-Fall bekannt wird.
Auf den Straßen der 8000 Seelen-Gemeinde ist es ruhig geworden. Die Geschäfte sind geschlossen. Das öffentliche Leben ruht. Und im Eingangsbereich des Hauses St. Josef, wo sonst reger Betrieb herrscht, taucht kaum noch jemand auf. „Diese Situation ist schon ziemlich skurril“, sagt Irmhild Scheffner – „vor allem, wenn man bedenkt, dass uns die Seniorinnen und Senioren, die hier leben, von ihren engsten Angehörigen anvertraut wurden. Und jetzt dürfen wir diese Angehörigen noch nicht einmal mehr zu ihnen lassen.“
Andererseits herrscht in den Häusern deutlich mehr Leben als außerhalb. „In meiner Heimatstadt Dortmund ist es gespenstisch leer“, sagt Gisela Gerlach-Wiegmann. „Auf dem Weg zur Arbeit sind die Straßen frei, was man sich sonst immer wünscht. Jetzt ist das bizarr. Hier im Haus St. Martin bin ich wenigstens noch von Menschen umgeben.“
Und Regina Behr aus dem Reginenhaus sieht genau darin bei aller Belastung, die die Pflegekräfte derzeit ertragen müssten, auch einen Vorteil: „Viele sind ja schon beurlaubt, in Kurzarbeit oder im Homeoffice. Wir aber haben das Glück, normal arbeiten gehen zu können. Uns wurde der Alltag noch nicht genommen.“