„Rückenwind“-Programm startete mit erster Transferveranstaltung im Bergkloster Bestwig
Dass in den vergangenen Jahren weniger als die Hälfte aller Auszubildenden in den eigenen Pflege-Einrichtungen übernommen werden konnten, soll in Zukunft nicht mehr vorkommen: „Wir wollen sie stärker an uns binden“, verspricht Personalleiterin Daniela Kaminski – „auch, indem wir unsere Mitarbeiter für die Begleitung weiterbilden.“ Dazu will die Seniorenhilfe SMMP in den kommenden drei Jahren einiges bewegen.
„Binden. Bilden. Bewegen.“ heißt der Titel ihres Rückenwind-Programms, das durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds mit 380.000 Euro gefördert wird. Dieselbe Summe investiert die Seniorenhilfe SMMP gGmbH in Trägerschaft der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel.
Am Dienstagnachmittag hat das fünfköpfige Projektteam aus der Zentralverwaltung, das dieses Programm bis März 2020 leiten wird, den Prozess im Bergkloster Bestwig vorgestellt. Geladen waren zu dieser Tansfer-Veranstaltung auch Gäste anderer Träger, die sich mit eigenen Programmen an „Rückenwind“ beteiligen.
Dass der Bedarf für die Übernahme von Auszubildenden, die Akquise weiterer Fachkräfte und die Bindung von Führungskräften groß ist, machte Carina Rothfeld von der Stabstelle Unternehmensentwicklung der Seniorenhilfe SMMP eindringlich deutlich: „53 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind über 50, nur zwölf Prozent zwischen 20 und 29. Das heißt: In den kommenden zehn Jahren werden 25 Prozent unserer Belegschaft verrentet. Als wir diese Zahlen analysierten, war das schon erschreckend.“
Schon vieles richtig gemacht
Dabei liege die Seniorenhilfe SMMP im Trend. Denn bis 2030 sollen laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger bundesweit 575.000 Fachkräfte fehlen. Damit wäre jede zweite Stelle unbesetzt.
„Natürlich haben wir auch in der Vergangenheit schon vieles angestoßen und richtig gemacht“, erklärte Carina Rothfeld. So wurden bereits 2015 regelmäßige Personalentwicklungsgespräche eingeführt. Laut Umfragen in den Einrichtungen und Diensten ist die Identität mit dem Arbeitgeber hoch. Dazu trage auch die Vision bei, die gemeinsam mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor zwei Jahren entwickelt wurde. Und im längst etablierten Qualitätsmanagement sei bereits ein Einarbeitungskonzept für neue Mitarbeiter beschrieben.
„Jedoch gab es bisher keine langfristig angelegte, strategische Personal-, Nachfolge- und Karriereplanung. Die Entscheidungen erfolgten meist situativ“, hielt Carina Rothfeld selbstkritisch fest. Frank Pfeffer, Geschäftsführer der Seniorenhilfe SMMP, verweist auf ein allgemeines Problem: „Das Hier und Jetzt steht noch bei vielen Trägern im Vordergrund.“
Drei Bausteine
Das soll sich nun ändern. „Binden. Bilden. Bewegen.“ besteht aus drei Bausteinen, die Daniela Kaminski ausführlich vorstellte. Im Bereich der Führungskräfte-Entwicklung will man vor allem die mittlere Ebene mit ins Boot holen. Dazu gehören die Wohnbereichsleitungen, die Hausmanagerinnen der Senioren-WGs, die stellvertretenden Leitungen sowie die Potenzialträger und Schlüsselkräfte.
Sie beschäftigen sich in verschiedenen Modulen mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung, dem Konflikt-, Zeit- und Selbstmanagement oder dem Führen von Personalentwicklungsgesprächen“, nannte Daniela Kaminski Beispiele. Was für die Führungskräfte vorab in Halbtagsseminaren aufgefrischt wird, vertiefen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der mittleren Ebene in Ganztags-Fortbildungen: „Das soll den Austausch zwischen diesen beiden Ebenen beleben.“
Im zweiten Modul des Rückenwind-Programms soll ein Einarbeitungskonzept für neue Kolleginnen und Kollegen entwickelt werden: „Da gilt es etwa, eine Willkommenskultur zu schaffen und flexible Arbeitszeitmodelle zu beschreiben.“
Und im dritten Modul will man sich einem nachhaltigen Ausbildungskonzept widmen. „Hier legen wir vor allem den Fokus auf die Begleitung, also das Mentoring“, erklärt Daniela Kaminski. Dazu wollen wir die Praxisanleiterinnen und -anleiter stärken. Auch soll das E-Learning etabliert werden.
Flexibler sein
In beiden Bereichen gelte es einerseits, Standards zu vereinheitlichen, andererseits aber auch, regionale Möglichkeiten und Besonderheiten stärker zu berücksichtigen. „Da müssen wir noch flexibler auf Wünsche neuer Kolleginnen und Kollegen eingehen können“, betont Daniela Kaminski.
Flexibilität fordert vor allem die Übernahme von Auszubildenden. „Selbst wenn gerade kein passender Platz in der Pflege frei ist, können wir es uns nicht erlauben, sie einfach gehen zu lassen“, weiß die Personalleiterin. Denn nicht selten würden schon wenig später oder an einem anderen Standort mit großem Aufwand neue Fachkräfte gesucht.
Das unterstich auch Susanne Weber vom Caritas-Verband Arnsberg-Sundern, die dort das Rückenwind-Projekt „Vitamin L“ begleitet, wobei das L für Lebensphasenorientierung steht: „Wir hatten Auszubildende, denen eine Teilzeitstelle angeboten wurde. Aber ein junger Mensch gibt sich damit nicht zufrieden.“
Auf der anderen Seite mahnte Britta Schmidt, Gebietsleiterin der ambulanten Einrichtungen bei der Seniorenhilfe SMMP: „Wir müssen Interessenten und Bewerbern auch klarmachen, was sie erwartet. Dass Wochenend- und Schichtdienste dazugehören. Dass sich nicht nur montags bis freitags von acht bis zwölf arbeiten können. Die Pflege-Bedürftigen brauchen uns rund um die Uhr.“
„Nicht erpressbar machen“
Führungskräfte-Trainer Klaus Dieter Otte forderte dazu auf, dass Führungskräfte konfrontativ damit umgehen mögen: „Jeder weiß, wie dringend Pflegekräfte benötigt werden. Das macht das System sonst erpressbar.“
Punkten will die Seniorenhilfe SMMP dank „Rückenwind“ mit einer besseren Begleitung von Auszubildenden und neuen Fachkräften, optimierten Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten und mehr Flexibilität durch die intensivierte Zusammenarbeit verschiedener Standorte und Ebenen. Außerdem mit einer positiven Unternehmenskultur und einer starken Bindung – nicht nur an den lokalen Arbeitgeber, sondern an das Gesamtunternehmen in einer christlichen Trägerschaft. „Wichtig ist die Profilierung. Die Organisation muss ein lebendiger Organismus sein, damit Menschen hier mit Freude arbeiten“, erklärte Schwester Maria Ignatia Langela.
„Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind jetzt schon mit viel Herzblut dabei“, weiß Daniela Kaminski. Das spürt auch Frank Pfeffer, der erst seit fünf Monaten Geschäftsführer der Seniorenhilfe ist: „Die Soft-Skills gehören nicht zum Kern dieses Projektes. Dennoch sollte sich an sinkender Personal-Fluktuation, höheren Übernahme-Quoten und Faktoren wie dem Krankenstand ablesen lassen, dass sich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiter etwas zum Positiven verändert.“
Die Zahlen, die zur Evaluierung des Programms bis zur zweiten Transfer-Veranstaltung vorgelegt werden müssen, könnten allerdings trügerisch sein, weiß Ansgar Schöllgen. Der Mitarbeiter des mib Management Instituts Bochum wird mehrere Module von „Binden. Bilden. Bewegen“ anleiten und warnte: „Die Eigenwahrnehmung der Führungskräfte kann sich dahingehend verändern, dass sie sich in drei Jahren vielleicht nicht so gut beurteilen wie jetzt, obwohl sich ihre Exzellenz verbessert.“ Deshalb werde man auch dann hinter die Zahlen blicken müssen. „Selbstkritische Führungskräfte“, sagt der Berater, „sind ja eigentlich das Beste, was einem passieren kann.“