
Gedanken zum Jahreswechsel von Schwester Ruth Stengel
Auch wenn mir zwei Minuten vorher noch ein Klos im Hals steckt, wenn mir nicht der Sinn ist nach großen Worten und Gesten, so erhebe ich mich doch um 12 Uhr Mitternacht von der Kirchenbank und stimme ein in lauten Orgelklang: „Großer Gott wir loben dich“. Seit Jahren freue ich mich auf diesen letzten Moment des Jahres, der zugleich auch der erste Atemzug des Neuen ist.
Ich habe das Gefühl, dass mein kleines Leben in diesen Minuten mit hineingenommen wird in etwas Größeres. Ich darf an der Schwelle stehen, egal mit welchen Gedanken, Sorgen oder Stimmungen und mich hinübertragen lassen.
Vielleicht ist es so ähnlich mit dem Segen Gottes, er steht in der Bibel genau an der Schwelle zwischen dem alten, bekannten Weg und dem neuen Leben, zwischen Abschied und Neubeginn, Anfang und Ende. Das zeigt mir Abraham: „Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.“ (Genesis, 12,1f)
Die Segensverheißung zieht ihn, diesen alten Mann mit seiner unfruchtbaren Frau, über die Schwelle weg in ein fremdes Land. Sie öffnet Zukunft. Und Abraham macht sich auf den Weg. Vielleicht mit viel Angst im Bauch und noch mehr Fragen, aber das ist in diesem Moment egal. Er lässt sich von Gott über die Schwelle tragen.
Auch wenn mir zwei Minuten vorher noch ein Klos im Hals steckt, ich werde mich einklinken: „Großer Gott, wir loben dich.“ Egal was kommen wird, meine Angst vor der Schwelle und allem Neuen wird gesegnet sein.
Sr. Ruth Stengel