Hufeland-Klinik entwickelt sicheres Verfahren zur Diagnostik von Schluckstörungen bei Beatmungspatienten
Das leuchtend blau bestrichene Brot und der blaue Pudding stehen schon griffbereit. „Sie brauchen gar keine Angst zu haben. Das schaffen Sie“, spricht Lungenfacharzt Markus Zenner seiner Patientin Marianne S. Mut zu. Die verspürt beim Anblick des seltsamen Menüs eigentlich gar keinen Appetit. Sie freut sich nur darauf, dass der Schlauch für die künstliche Ernährung endlich aus ihrer Nase kommt.
Der „bronchoskopisch kontrollierte Schluckversuch“ ist die entscheidende Untersuchung vor dem Entfernen der sogenannten Tracheal-Kanüle bei einem Patienten, der lange Zeit maschinell beatmet wurde. „Darauf arbeiten wir über viele Tage und manchmal sogar Wochen hin“, erklärt Markus Zenner. Der 42-Jährige hat die anspruchsvolle Prozedur schon über hundertmal durchgeführt und darüber gerade seine Doktorarbeit geschrieben.
Die Methode wurde während der vergangenen zwei Jahre in Zusammenarbeit mit den Logopäden der Praxis Wortschatz an der Hufeland-Klinik entwickelt und mittlerweile auch auf Kongressen vorgestellt. Sie gibt Aufschluss darüber, wie groß das Risiko bei einem Patienten nach dem Entfernen der Tracheal-Kanüle ist, dass Speisereste in die Luftröhre gelangen.
Patient lernt wieder zu atmen
Über diese Kanüle erfolgt die Beatmung der Patienten. Sie wird mit einem Luftröhrenschnitt unterhalb des Kehlkopfes eingesetzt. Die Aufgabe des Teams in der Akut-Abteilung für Lungenheilkunde – der sogenannten Pneumologie – an der Hufeland-Klinik besteht darin, die Patienten zu „weanen“, also allmählich von dem Beatmungsgerät zu entwöhnen, und die Kanüle dann zu entfernen.
„Dazu lassen wir unsere Patienten jeden Tag über einen immer längeren Zeitraum selbstständig atmen“, erläutert Markus Zenner. „Wenn sie es dann zwölf Stunden ununterbrochen ohne Gerät schaffen, wird der Schluckversuch gemacht.“ Dann heißt es: Schläuche raus. Ein Augenblick, den die Patienten herbeisehnen, auch wenn sie angesichts der Prozedur aufgeregt sind.
Marianne S. geht es genauso: „Seitdem ich vor sechs Stunden davon erfahren habe, male ich mir aus, was da wohl passiert.“ Vermutlich hat sie es sich viel schlimmer vorgestellt. Die Untersuchung dauert wenige Minuten. Nur das blaue Butterbrot wird ihr nicht so angenehm in Erinnerung bleiben.
„Wenn wir merken, es geht nicht, brechen wir ab. Auch nicht schlimm. Dann bleibt die Kanüle erst einmal drin und wir versuchen es einfach in ein paar Tagen noch einmal“, beruhigt der Facharzt die Patientin. Der Puls geht aber nur unmerklich runter.
Markus Zenner und der Mediziner Daud Rasul, die Logopädin Stephanie Baumann-Emmel und Stationsleiter Hendrik van t’Hoff Haas sind einsatzbereit. Ein kurzer Blick reicht aus, dann geht es los.
Suche nach Schleimfäden
Als erstes prüft Markus Zenner, ob im Bereich der Bronchien keine Schleimfäden im Weg sind. Dazu führt er das Bronchoskop durch die Trachealkanüle ein. Über eine Optik kann er bis in die ersten Verzweigungen der Lunge blicken. „Das sieht doch gut aus“, sagt er und entfernt ein wenig Sekret, indem er es durch den Schlauch nach außen absaugt.
Dann wird die Trachealkanüle entfernt. Dazu lässt er die Luft aus dem Ballon entweichen, der an ihrem unteren Ende sitzt. Er hält die Kanüle durch seinen Druck an der Position und schließt die Luftröhre nach oben ab, damit während der Beatmung keine Luft durch Mund und Nase entweicht.
Auch die Stimmritzen liegen während der Beatmungsphase im Abseits. Solange das Gerät angeschlossen ist, können die Patienten nicht sprechen. Oft wochenlang. Nur wenn es vorübergehendabgestellt ist, ersetzt ein feiner Filter, der außen an der Kanüle sitzt, das Stimmorgan.
Nach der Entfernung der Kanüle müssen Sprech- und Schluckapparat wieder selbstständig arbeiten. Beim Sprechen ist die Kontrolle relativ einfach. Erneut führt Markus Zenner das Bronchoskop über den Luftröhrenschnitt mit Blick auf die Stimmlippen in den Hals von Marianne S. ein. „Sagen Sie mal: Guten Tag“, bittet er die 47-Jährige. Ihre Stimme klingt noch etwas heiser, ist aber verständlich. Und um sicherzustellen, dass das Schlucken funktioniert, braucht der Pneumologe das blau gefärbte Butterbrot.
Erst der Pudding, dann das Wasser
Zunächst isst Marianne S. allerdings einen Löffeln blau gefärbten Puddings. Da die Schleimhaut in Luft und Speiseröhre rötlich ist, hebt sich diese Farbe gut davon ab. Blau kommt im menschlichen Körper nicht vor. Markus Zenner blickt durch das Bronchoskop und kann keinen Pudding in der Luftröhre erkennen.
„Okay, jetzt das Wasser“, sagt er. Stephanie Baumann-Emmel gibt der Patientin einen Schluck und beobachtet sie ganz genau: „Gut machen Sie das.“
Schließlich folgt das Butterbrot als Test für feste Nahrung. Marianne S. runzelt die Stirn, bleibt aber tapfer und beißt kräftig rein. Auch diesmal ist Dr. Zenner zufrieden: „Jawohl, jetzt haben Sie es fast geschafft.“
Ganz noch nicht, denn nach wie vor hängt der Schlauch aus der Nase. Der führt bis in den Darm. Diese Aufgabe erledigt Stationsleiter Hendrik van t’Hoff Haas. Mit souveränem Lächeln zieht er das unbequeme Teil aus dem Körper. Noch einmal reißt Marianne S. wegen des unnatürlichen Gefühls in ihrem Bauch die Augen weit auf. Aber kaum ist das Ende `raus, sagt sie erleichtert: „Endlich ist das Ding weg.“
„Na bitte“, sagt Markus Zenner. Und auch er kann nach der anstrengenden Prozedur wieder lächeln: „War es denn wirklich so schlimm?“ Marianne S. schüttelt den Kopf. Auf ihrem nächsten Butterbrot möchte sie aber bitte nichts Blaues mehr haben.
Schluckversuch
Nach einer Langzeitbeatmung können 40 Prozent der Patienten nicht schlucken. Das haben die Auswertungen der Krankenakten an der Hufeland-Klinik ergeben und das entspricht dem Erfahrungswert vieler Kliniken. Diese Patienten haben ein hohes Risiko für eine erneute Intubation oder eine Lungenentzündung, die auch zum Tod führen können. Der bronchoskopisch kontrollierte Schluckversuch soll das Risiko abschätzen und helfen, die weitere Behandlung entsprechend auszurichten.
An der Hufeland-Klinik wurde er schon mehr als 100mal durchgeführt. Auch setzt die Abteilung für Lungenheilkunde Logopäden ein, um die Risiken möglichst exakt zu erfassen. Dies ist nicht selbstverständlich. Nur ein Drittel der Patienten, die zunächst gar nicht schlucken konnten, haben nach der Entlassung aus der Hufeland-Klinik noch mit dem Schlucken
Probleme.