Von Martina Zimmermann
Aus ihren Augen blitzt der Schalk. Sie lebt in einer umgebauten Garage. Nein. Sie liegt in einer umgebauten Garage. Und sie ist pfiffig und indiskret. Interviews sind an der Tagesordnung.
„Waren sie eine gute Schülerin?
Haben sie einen Freund?
Nehmen sie die Pille?
Ist ihr Mann ein guter Liebhaber?“
Morgenbesuch bei Frau Roth. Morgentoilette, Verbände an diversen offenen Stellen, Medikamentengabe, Frühstück zubereiten und geben sind angesagt.
Bewaffnet mit sechs Paar Handschuhen übereinander geht es los.
Zur Tür rein:
„Moin Frau Roth“
„Ich habe Hunger“
„Klar, ich mache ihnen Frühstück. Ein Brot mit Quark und Marmelade, Kakao und Joghurt?
„Ja, wann krieg ich was zu essen?“
Während ich das Frühstück vorbereite:
„Au, ich habe Hunger!“
Alles in Müffelchen geschnitten:
„Wann krieg ich was zu essen?“
Zwei Bissen später:
„Genug!“
Duschen und Haare waschen ist angesagt, Transfer auf den Duschstuhl.
„Ich habe Hunger! Wann krieg ich was zu essen?“
Ein Paar Handschuhe abgestreift. Ein Müffelchen.
„Genug!“
Durchfall, Spur ins Bad… während des Duschens:
„Ich habe Hunger! Wann krieg ich was zu essen?“
Endlosschleife.
„Frau Roth ich kann Ihnen kein Essen geben während ich Sie abtrockne und Ihnen eine frische Hose anziehe.“
Inkonsequent. Noch vier Paar Handschuhe. Ein Müffelchen mit Gabel angereicht.
„Genug“
Dann Bett beziehen.
„Ich habe Hunger! Wann krieg ich was zu essen?“
Drei Paar Handschuhe sind noch mein eigen. Frau Roth zurück ins Bett.
„Ich habe Hunger! Ich will essen! Wann krieg ich was zu essen?“
Noch zwei Paar.
Weitere Müffelchen. Verbände an diversen Stellen.
„Wann krieg ich denn was zu essen? Hunger!“
Ein Paar Handschuhe und gefühlte fünf Stunden später liegt Frau Roth zufrieden und vor allen Dingen satt in ihrem Bett.
Sie strahlt mich an.
„Du bist eine gute Krankenschwester.“
„Danke Frau Roth.“
Ich gehe zur Tür.
„Mein Enkel ist auch Krankenschwester!“
Martina Zimmermann arbeitet beim Ambulanten Dienst am Marienkrankenhaus in Nassau. Mit diesem Beitrag hat sie den 2. Platz im Schreibwettbewerb der Seniorenhilfe SMMP erreicht.