Am Vorabend des Palmsonntags drehe ich noch schnell eine Runde um das Kloster. Der Blick in den Himmel fasziniert und erschüttert mich. Tiefes Wolkendunkel und hell leuchtendes Dämmerlicht zugleich: Palmsonntagshimmel, irgendwie.
Fast scheint der Himmel zu klein für das Schauspiel.
So ähnlich geht es mir bei der Liturgie des Palmsonntags, dieser Tag ist wie „ein Zuviel“ und alles zugleich.
Ein Zuviel an Jubel beim Einzug Jesu in Jerusalem gegenüber der Verspottung – am Kreuz. Ein Zuviel an jubelnder Menschenmenge gegenüber der totalen Verlassenheit – am Kreuz. Ein Zuviel an Festtagsstimmung gegenüber der Nacht – am Kreuz.
Das alles und noch viel mehr feiern wir an diesem Tag. Und dann wird der Palmsonntag auch noch das Tor zur Karwoche genannt. Mir wird dabei fast schwindlig. Ich mag dieses Tor nicht öffnen. Bin ich nicht viel zu weit weg, vom Verstehen, Mitgehen und Mitfühlen?
Wo stehe ich?
Gut, nur für den Augenblick gesprochen stehe ich hier draußen und schaue in den Palmsonntagshimmel. Ich stehe lange da. Mir fällt ein Satz aus der Lesung vom Tag ein:
„Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet.“
(Jes 50, 5)
Leise füge ich in Gedanken hinter Ohren …meine Augen… hinzu.
Das nimmt mir ganz und gar nicht mein Unbehagen vor dem Tor der Karwoche. Aber ich stehe und schaue und traue mich ja vielleicht, mein Tor zur Karwoche aufzuschließen. Ach, nein, ich nehme die Worte der Lesung beim Wort. Nicht ich, sondern Gott ist es, der öffnet. Ob morgen oder übermorgen und wie und wo weiß ich nicht. Muss ich auch nicht wissen, Geheimnisse sind nicht zum Verstehen da, aber zum stille werden.
Den Palmsonntagshimmel habe ich schließlich auch nicht gemacht und sehe ihn doch mit meinen Augen.
Sr. Ruth Stengel
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