Bundestagspräsident Norbert Lammert diskutierte mit 160 Schülern im Bergkloster Bestwig
„Natürlich steht es im Widerspruch zu meinem christlichen Glauben, wenn der Bundestag einen Militäreinsatz in Afghanistan beschließt, bei dem auch Unschuldige ums Leben kommen“, sagt Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert. Und die 160 Schüler des Berufskollegs Bergkloster Bestwig um ihn herum hören konzentriert zu. Aber der Politiker stellt sogleich eine Gegenfrage: „Wäre es denn kein Widerspruch, wenn ich mich aus den Problemen dieser Welt lieber heraushielte?“
Dann verweist er auf den 70. Jahrestag der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942: „Da war beschlossen worden, elf Millionen Juden zu vernichten – nicht nur in Deutschland. Und das wäre geschehen, wenn die Alliierten nicht gegen uns Krieg geführt hätten. Wollen wir das heute verurteilen?“
Hinter so mancher Antwort bleibt am Samstagnachmittag ein Fragezeichen. Aber vielen Schülern wird die Komplexität so mancher Frage auch erst bewusst. Der Katholik Norbert Lammert beantwortet sie sehr persönlich, sehr bedacht, sehr ehrlich.
„Natürlich habe ich Kritik an der Institution der Kirche“, gibt auf die Frage einer Schülerin unumwunden zu. Und wieder kommt das ‚Aber‘ gleich hinterher: „Doch wer deshalb sagt, die Institution müsse weg, zieht die falsche Schlussfolgerung.“ Ein Verein oder eine Partei hätten ebenso wie die Kirche den Sinn, dass sich Menschen in ihnen sammeln, die gegenseitig von ihrem Erfahrungsschatz profitieren. Institutionen müsse es deshalb geben, hält der Politiker fest.
„Der Papst ist schuld, dass Sie heute hier sind“
Das ist die Botschaft des Christen Norbert Lammert: Sich immer wieder selbst zu hinterfragen. Nie den einfachen Weg zu suchen. Und das Christentum dabei doch immer „als Grund unter den Füßen zu wissen.“ Deshalb hatte Religionslehrer Christoph Schwake dem Bundestagspräsidenten eine E-Mail geschrieben und ihn ins Berufskolleg eingeladen: „Im Prinzip ist der Papst daran schuld, dass Sie heute hier sind. Denn als er zu Besuch in Deutschland war, hatten Sie seine Reden kommentiert. Da haben wir uns im Religionsunterricht mit ihren Texten beschäftigt – und festgestellt, dass sie als Mensch viel zum Thema Christsein zu sagen haben.“ Der Bundestagspräsident hatte spontan zugesagt. „Auch, um die Ernsthaftigkeit Ihres Anliegens zu testen“, lacht der CDU-Politiker, als er zwischen den Schülern in der Aula des Berufskollegs sitzt. Nun sei er froh, hier zu sein.
Dass im Hinblick auf den eigenen Glauben Fragen offen bleiben, verwundert Norbert Lammert nicht mehr. „Schon während meines Studiums habe ich Thomas von Aquin gelesen“, erklärt er. Der habe geschrieben, dass der Glaube Dimensionen berühre, die sich der letzten Erklärung entziehen. „Und das“, sagt Lammert, „hat mich dann in meinem Glauben auch wieder bestärkt.“
„Bei der Frage des Zölibats geht es auch um meine Kirche“
Die Zweifel an der katholischen Kirche beschäftigen ihn umso mehr. Zum Beispiel ist er gegen den Zölibat: „Dass der dramatische Priestermangel ein Problem ist, gibt jeder Bischof zu. Aber wenn mir sogar Kardinäle schreiben, dass ich mich da `raushalten soll, sehe ich das nicht ein: Das geht mich sehr wohl etwas an.“ Und in diesem Punkt wirkt Lammert energisch: „Schließlich ist das auch meine Kirche. Das wäre ja so, als würde ich unseren Wählern entgegnen, dass sie die Entscheidungen von uns Politikern nichts angehen.“
Der Glaube sei nicht demokratiefähig, räumt Lammert ein. Die Kirche aber sehr wohl. Denn die Kirche sei nicht der Glaube. Und auch die Frage des Zölibats sei keine Glaubensfrage.
„Passen das so oft als schmutzig bezeichnete Geschäft der Politik und eine christliche Grundeinstellung überhaupt zusammen?“, möchte ein Lehrer wissen. Mit diesem Vorurteil räumt der Präsident des deutschen Bundestages auf: „Politik verdirbt den Charakter ebenso wenig wie das Bankgeschäft.“ Es sei umgekehrt: „Schlechte Charaktere verderben die Politik.“
Aber in der Politik gehe es um die Interessen, und in der Religion um die Wahrheit, wendet Christoph Schwake ein. Doch was ist Wahrheit? Der Bundestagspräsident erinnert an den ersten Satz des Grundgesetztes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Was uns heute selbstverständlich erscheint, habe bei der Gründung der Bundesrepublik doch alle Erfahrungen auf den Kopf gestellt: „Belegbar war nur, dass die Menschenwürde antastbar ist.“ Und dennoch sei das Grundgesetz so verabschiedet worden, weil der Großteil der Gesellschaft noch von der Wahrheit dieser Vorstellung geprägt war. Weil dies unserer christlichen Überzeugung entspreche. Die präge uns bis heute. Und je komplizierter die Welt werde, desto größer sei das Verlangen nach Orientierung.
Unser Vater im Himmel,
groß ist dein Name und heilig.
Dein Reich kommt,
wenn dein Wille geschieht,
auch auf Erden.
Gib uns das, was wir brauchen.
Vergib uns, wenn wir Böses tun
Und Gutes unterlassen,
sowie auch wir denen verzeihen wollen,
die an uns schuldig geworden sind.
Gib uns Kraft, wenn wir schwach sind.
Und mach uns frei, wenn es Zeit ist,
von den Übeln dieser Welt.
Amen.
Norbert Lammert
„Der war gar nicht so, wie man sich Politiker vorstellt“
Die Schüler hören aufmerksam zu. Und als die gut 75-minütige Diskussionsrunde endet, sind sie beeindruckt. „Der war gar nicht so, wie man sich einen Politiker vorstellt: Er war locker und hat unsere Fragen dennoch sehr ernst genommen“, sagt Pelin Akpinar. Und Pia Schiermeister gibt zu: „Ich werde über so manche Antwort noch lange nachdenken müssen. Auch im Unterricht wollen wir das ja noch nachbereiten.“
Der Besuch des Bundestagspräsidenten schloss mit einer Eucharistiefeier in der Dreifaltigkeitskirche ab. Dabei wurden auch liturgische Texte von Norbert Lammert verwendet. „Wir kennen doch ohnehin nur Übersetzungen der Bergpredigt Jesu. Warum also soll man sie nicht so umformulieren, dass man auf einmal wieder ins Grübeln kommt?“, fragt der Politiker. Und es passt zu seinem persönlichen Zeugnis als Christ an diesem Tag, dass das Vater Unser und das Glaubensbekenntnis in diesem Gottesdienst ein sehr persönliches waren.