Kurz vor Weihnachten: Langsam sollte ich mit der ersten Karte beginnen, geht es mir durch den Kopf. So viele Menschen habe ich lieb, aber ich kann unmöglich allen schreiben. Soll ich die Post selber gestalten oder genügt ein Griff in die Kartenkiste, die jedes Jahr vor Weihnachten in unserem Speisesaal aufgestellt ist und zum Ende hin leider nur noch angestaubte Motive vergangener Generationen enthält?
Jedes Jahr vor Weihnachten packt mich die gleiche Unruhe, bis es dann endlich losgeht. Eine Schreibliste ist aufgestellt, das Motiv und das Gedicht auf der Karte sind entworfen und ein freier Tag kommt sehr gelegen. Ich tauche ein in eine andere Welt, in die Welt der Menschen, an die ich denke möchte – Familie, Freunde, Weggefährten. Ich krame in Erinnerungen, gemeinsamen Erfahrungen, in Leidvollem und Schönem.
Es sind geschenkte Stunden, warum fällt nur der Anfang immer so schwer?
Ich möchte so vieles sagen und spüre dabei zugleich, dass es nicht auf die Menge der Wörter ankommt. Ein „Ich denke an dich“ und „Im Gebet verbunden“ können den ganzen Tag heller machen. Heute ist für mich so ein Tag. Denn auch auf meinem Schreibtisch liegt die erste Weihnachtspost. Mit einer wackeligen Kinderschrift steht da auf der Karte mit der kitschigen Winterlandschaft: „Weißt du, dass das schön ist, dass Gott dich gemacht hat und mich auch. Am Heiligen Abend zünde ich eine Kerze für dich an!“
Sr. Ruth Stengel