So ist ein Gedicht von Hilde Domin überschrieben. Heute Abend habe ich es auf dem Kalenderblatt in unserer kleinen Küche entdeckt.
Die Luft ein Archipel
von Duftinseln
Schwaden von Lindenblüten
und sonnigem Heu
süß vertraut
stehen und warten auf mich
als umhüllten mich Tücher
von lange her
aus sanftem Zuhaus
von der Mutter gewoben
Ich bin wie im Traum
und kann den Windgeschenken
kaum glauben
Wolken von Zärtlichkeit
fangen mich ein
und das Glück beißt
seinen kleinen Zahn
in mein Herz
Hilde Domin
Mein Blick fällt flüchtig auf das Bild und ich sehe Halme, die sich im Wind hin und her wiegen. Darunter stehen die wunderschönen Zeilen. Sie bringen genau das ins Wort, was ich bei der abendlichen Runde um den Klosterberg erleben durfte: Windgeschenke!
Von unten aus dem Dorf trug der Wind Tanzmusik herauf, so dass ich unmöglich still bleiben konnte. Die kleinen Mücken, die sich in Schwärmen tummelten, machten richtig zarte Windgeräusche und beim Sonnenuntergang schien der leichte Sommerwind vor Ehrfurcht eine kurze Pause zu machen.
„Wolken von Zärtlichkeit fangen mich ein und das Glück beißt einen kleinen Zahn in mein Herz.“ Mit diesem Satz endet das Gedicht und die Wörter klingen noch lange in mir nach.
Es ist ein Geschenk, wenn man unerwartet Worte entdeckt, die scheinbar für einen ganz persönlich, jetzt und gerade hier, geschrieben wurden. Ich nehme sie an, die Wind- und Wortgeschenke. Sie tragen selbst dann noch, wenn auf den Sonnentag der Regen fällt.
Sr. Ruth Stengel