Kulturphilosoph Kurt C. Reinhardt diskutierte mit leitenden Mitarbeitern und Ordensfrauen der Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel über die Architektur unserer Arbeitsumgebung
Bestwig. Wie können wir in den Dimensionen der Architektur bei zunehmender Differenzierung und Autonomisierung in den Aufgabengebieten den familiär-kulturellen Zusammenhalt stärken? Diese Frage stellte der Kulturphilosoph und Architekturtheoretiker Kurt C. Reinhardt aus Essen am Dienstag, 9. März, rund 70 leitenden Ordensfrauen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Einrichtungen und Diensten der Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel.
Der Titel dieser Frühjahrstagung im Bergkloster Bestwig, zu der die Generalleitung und die Provinzleitung eingeladen hatten, klang zunächst sehr akademisch. Dann führte sie aber zu überraschenden Erkenntnissen: zum Beispiel, welche Bedeutung die Räume, in denen wir körperlich und geistig arbeiten, für die Kreativität, für das Wohlfühlen und auch für die spirituelle Tiefe haben können. „Architektur ist nicht nur Neubau, sondern Wahrnehmung und Nutzen. Sie sind es, die diese Räume programmieren“, ermutigte der Dozent die Ordensschwestern und Betriebsleitungen zum Mitmachen und zum Ideen sammeln. Dieser Prozess konnte am Dienstag allerdings nur angestoßen werden.
Transparenz fördert das Zusammenleben
Konkret lassen sich die Theorien und Ideen von Kurt C. Reinhardt natürlich da überprüfen und anwenden, wo Einrichtungen die Chance haben, durch Neubau und „Entrümpelung“ ganz neu anzufangen. So wie in Wadersloh, wo das Seniorenheim St. Josef erst vor wenigen Tagen eingesegnet wurde. „Die Räume sind jetzt viel offener und transparenter. Die Flure sind zum Innenhof alle verglast. So können wir uns endlich wieder über die verschiedenen Etagen sehen“, bestätigte Heimleiter Andreas Wedeking bei der Diskussion in der Kleingruppe. Und er ergänzte: „Das hat schon nach wenigen Wochen zu dem Effekt geführt, dass viele der Bewohnerinnen und Bewohner erheblich aktiver geworden sind.“
Wie wichtig ein Raumkonzept ist, bestätigte auch Heinz-Peter Kaes, Leiter des katholischen Gymnasiums Bergschule St. Elisabeth in Heiligenstadt, nach den Kleingruppengesprächen im Plenum. Und er war dankbar für die Anregungen aus dem Referat und den Gesprächen: „Es ist ja gar nicht selbstverständlich, dass man überhaupt Raum hat, über solche Veränderungen nachzudenken.“
Schwester Margareta Kühn, die das Projekt „Manege“ mit arbeitslosen Jugendlichen in Berlin-Marzahn leitet, fühlte sich in ihren Bemühungen bestätigt, die Umgebung gemeinsam mit Jugendlichen zu gestalten: „Sie sollen sich mit diesen Räumen identifizieren. Die Einladung zur Mitarbeit entfacht viel Kreativität. Und die Jugendlichen gestalten die Räume so, wie sie es auch für ihre Gäste wollen.“ Ein Konzept, dass Kurt C. Reinhardt fast bedingungslos unterstützt. Wobei die Gestaltungsideen allerdings nicht einer Mode unterliegen, sondern für die Zukunft Möglichkeiten offen halten sollten.
Die dritte Haut des Menschen
Reinhardt sieht die Architektur als dritte Haut des Menschen: „Die erste ist unsere eigene, die zweite unsere Kleidung und die dritte das Haus um uns herum.“ Räume seien versteinerte Ideen und enthielten so – ob profan oder funktionell – immer ein Weltbild.
In seinem 75-minütigem Vortrag zu Beginn der Tagung unternahm der Essener eine spannende Reise durch die Kunst- und Architekturgeschichte. Ausgehend von dem griechischen Wort Oikos, das den „Haus-halt“ als ganzheitliches Gebäude familiären, gemeinschaftlichen Zusammenhaltes sowie von Ökonomie und Ökologie sieht, definierte er den Begriff der Architektur nicht als Beruf „sondern als „Geisteshaltung“. Die werde durch die versteinerten Ideen der Gebäude und Städte offenbar. Insofern sei die Architektur auch die Mutter aller Künste und Inspiration für unser tägliches Leben. Sehr plastisch erläuterte er dies an der Funktionalität der deutschen Küche zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der Laufwege abgemessen und optimiert worden sind. Oder anhand der Ideen des „Bauhauses“ in Dessau, wo die Architekten und Künstler nach Wegen gesucht hätten, Harmonie, Ergonomie, Kreativität und Effektivität miteinander in Einklang zu bringen.
Architektur vermittelt Heimat und Identität
In einer Epoche, wo sich die Architektur unseres Lebens mehr und mehr von vorgegebenen Tages- und Jahreszeitenzyklen entkoppelt und Entfernungen immer schneller zu überbrücken seien, habe auch die bauliche Architektur eine enorme Entwicklung genommen. Und das – auch angesichts zunehmenden Kosten- und Zeitdrucks – nicht immer vorteilhaft: „Vieles fördert die Transpiration, aber nicht die Inspiration.“ Insofern ermutigte Kurt C. Reinhardt dazu, großzügiger und weitsichtiger zu denken: Dabei sei durchdachte Architektur immer auch ökonomisch, so seine These.
Zudem biete die Architektur Möglichkeiten, in einer immer schnelllebigeren Zeit Identität zu vermitteln. Das verdeutlichte er am Beispiel des Strukturwandels im Ruhrgebiet: „Die geschlossenen und schließlich abgerissenen Zechen haben den dort lebenden Menschen nicht nur Arbeit genommen. Sondern auch ihre Heimat.“ Projekte wie die Modellstadt Mont Cenis in Herne mit Tagungszentrum, Bücherei und Freizeitangeboten unter einem mit Solarzellen besetzten Glasdach belegten, dass es gelingen könne, Ortsteilen wieder eine Identität zu vermitteln.
„Neue Nutzung alter Räume hat auch etwas Magisches“
Dieses Ziel fand sich auch in den Ergebnissen der Kleingruppen wieder, die die Thesen des Kulturphilosophen unter Berücksichtigung ihrer Umgebungen und Ressourcen unter die Lupe nahmen. „Räume müssen Heimat vermitteln. Wir müssen uns willkommen fühlen und wohlfühlen – so wie in der Wohnküche, die die kleine Haushaltsküche abgelöst hat,“ stellte Sr. Dorothea Brylak einige Ergebnisse ihrer Gruppe im Plenum vor. Der Referent fügte hinzu, dass sich solche Ziele nicht nur in Neubauten, sondern auch in der Neunutzung alter Räume umsetzen ließe: „Manchmal haben Räume, die vorher eine ganz andere Funktion hatten oder ungenutzt waren, dann sogar etwas Magisches.“ Eine Erfahrung, die er auch bei vielen Projekten der Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet macht: „Haben Sie den Mut, neu zu denken, sich zu öffnen, Weite zuzulassen“, appellierte der Philosoph abschließend – und forderte dazu auf, darüber nachzudenken, wie sehr Räume unsere Arbeit und unser Leben prägen. Gerade auch die eines christlichen Trägers, der ein Gefühl von Heimat und Aufgenommen-Sein vermitteln will.
Generaloberin Schwester Aloisia Höing dankte Kurt C. Reinhardt für seinen Vortrag und die engagierte Diskussion: „Und ich wünsche mir, dass wir viele dieser Ideen aufgreifen können. Auch in der Geisteshaltung unserer Gemeinschaft und aufbauend auf dem Charisma unserer Gründerin.“
Entwicklungen in der Europäischen Provinz: Immer mehr kleinere Konvente – und Nachdenken über das Angebot „Schwester auf Zeit“
Zum Abschluss der Tagung berichtete Provinzoberin Sr. Pia Elisabeth Hellrung über die aktuellen Entwicklungen in der Europäischen Provinz. Dabei orientierte sie sich an den verschiedenen Einrichtungen und Aufgabenbereichen des Bergklosters Bestwig: „Das spiegelt die Aufgaben unserer Provinz im Bereich von Gesundheits- und Seniorenhilfe, Jugend- und Bildungsarbeit, Pastoral und Seelsorge in Gänze wider.“
Bedingt durch die Altersstruktur der Gemeinschaft, die Situation auf dem Arbeitsmarkt, Konventsauflösungen und Neuanfängen gebe es auch im Ordensbereich in immer kürzeren Abständen Veränderungen: „Aufgaben werden oft nur so lange übernommen, wie sie eine Schwester konkret leisten kann. Eine Übergabe wie früher in den großen Konventen ist nicht mehr gesichert.“ Dass die Konvente nicht weniger, aber kleiner werden, belegen Zahlen: Demnach haben nur noch 30 Prozent der 63 Konvente in Deutschland, den Niederlanden und Rumänien mehr als vier Schwestern.
Seelsorge an Klinken und Unterricht an Sonderschulen
Anschließend fächerte Sr. Pia Elisabeth das weite Aufgabenspektrum der Ordensfrauen innerhalb der Provinz auf. Sr. Maria Elisabeth Woestmann unterrichtet beispielsweise an einer Sonderschule in Nordkirchen, Sr. Bernadette Blommel arbeitet als Seelsorgerin am Essener Uniklinikum und Sr. Petra Stelzner leitet das Montessori Zentrum Berlin. Viele seien auch im pastoralen oder seelsorglichen Dienst von Pfarrgemeinden tätig. Neu hinzugekommen sei ein kontemplativer Konvent in Hessen.
Neu ausgerichtet werden auch die Berufungspastoral und die Ordensausbildung. Derzeit gibt es immerhin zwei Novizinnen und eine Postulantin. In Zukunft soll vor Postulat und Noviziat wieder eine Kandidatur möglich sein, die interessierten jungen Frauen Zeit und Raum gibt, die eigene Berufung zu prüfen. „Außerdem denken wir neben unseren ora-et-labora- und Kloster-auf Zeit-Angeboten darüber nach, ob es auch die Möglichkeit geben soll, Schwester auf Zeit zu sein.“ Dieser Zeitraum könne dann mehrere Jahre betragen und sei nicht an Gelübde gebunden. Eine Arbeitsgruppe ist derzeit mit diesen Fragen beschäftigt.