Beeindruckende Gedenkfeier der katholischen Bergschulen in Heiligenstadt zum 20. Jahrestag des Mauerfalls
Heiligenstadt. Über 1.000 Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Katholischen Bergschulen St. Elisabeth in Heiligenstadt gedachten am Montag, 9. November, des Mauerfalls vor 20 Jahren. Dabei rissen sie symbolisch eine Mauer ein und kamen mit Zeitzeugen der friedlichen Revolution ins Gespräch. „Wichtig ist, dass wir uns unsere Geschichten erzählen. Nur dann können wir uns auch verstehen lernen“, betonte Hans-Gerd Adler, der die Demonstrationen vor dem Bergkloster mit bis zu 10.000 Menschen im Herbst 1989 zusammen mit dem Gemeindereferenten der St. Gerhard-Gemeinde, Eduard Fiedler, initiiert hatte. Seinen Dank sprach er bei der Anbringung der Tafel im Flur der beiden Schulen aber auch den Ordensschwestern aus: „Nicht nur, weil sie unentwegt für uns gebetet hatten. Sie hatten damals auch die Türen Ihres Klosters offen gehalten. Falls es brenzlich wird. Das gab uns Sicherheit. Obwohl die Kapazitäten des Klosters niemals für alle ausgereicht hätten…“
Wichtiges Datum für die gesamte Gemeinschaft
Nicht nur für die die Katholische Berufsbildende Bergschule St. Elisabeth und das Katholische Gymnasium St. Elisabeth war der 9. November 1989 ein wichtiges Datum. Vielmehr stellt dieser Tag für die Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel insgesamt einen positiven Wendepunkt dar: Denn über 40 Jahre lang verlief der „eiserne Vorhang“ mitten durch ihre Gemeinschaft. Da die Kontakte zwischen den Konventen im Westen und denen im Osten im Laufe der Jahre immer schwieriger wurden, war das Generalat in den 60er Jahren zunächst nach Geseke und später in das zu diesem Zweck errichtete Bergkloster Bestwig verlegt worden. Seit 2003 ist das Bergkloster in Heiligenstadt wieder Mutterhaus der Gemeinschaft. Das Bergkloster Bestwig wurde Provinzhaus der neu gegründeten deutschen Provinz.
Mauer verlief durch die Schule
„Was aber viele nicht wussten: Die Mauer verlief von 1952 bis 1990 sogar mitten durch diese Schule“, erklärte der Leiter des Gymnasiums, Heinz-Peter Kaes am endgültigen Standort der Gedenktafel. Denn das Gymnasium hatten die Schwestern zur DDR-Zeit aufgeben und den entsprechenden Gebäudeteil abgeben müssen. In dessen Dachstuhl richtete die Staatssicherheit eine Kammer ein, von der das Kloster aus beobachtet wurde. Kurz vor der Einheit kaufte die Ordensgemeinschaft das Gebäude zurück – und trug der Forderung des Volkes bei den Demonstrationen vor dem Bergkloster Rechnung, hier wieder ein Gymnasium aufzubauen. „Damit das in unserer Erinnerung bleibt, haben wir einen Teil des Putzes frei gelegt. Hier kann man die Mauer noch sehen“, so Heinz-Peter Kaes.
„WInd of Change in der Turnhalle“
Der Rektor des Bergklosters, Pfarrer Bernd Kucklick, hatte die Gedenktafel zuvor in Anwesenheit der rund 1.000 Schüler und Lehrer gesegnet. Und zu dem Lied „Wind of Change“ von den Scorpions hatten die eine als Mauer durch die ganze Sporthalle ausgerollte Tapetenrolle einreißen dürfen. „Ein Moment, den wir auch vom Podium aus als bewegend empfanden. Er spiegelte die Spontanität der Menschen vor 20 Jahren gut wieder“, schilderte Sr. Theresita Maria Müller, Leiterin der berufsbildenden Bergschule, ihre Eindrücke. Nach dieser Feier beschäftigten sich die Schüler und Auszubildende beider Schulen auch im Unterricht mit diesem historischen Datum. Und die Absolventen der Fachoberschule für Soziales und Gesundheitswesen, der Bildungsgang Ergotherapie sowie die angehenden Erzieherinnen und Erzieher erhielten noch Gelegenheit, mit den Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Dieser Diskussion stellten sich neben Hans-Gerd Adler und Eduard Fiedler auch Schwester Maria Magdalena Brüning, die beiden ehemaligen Lehrer Regina und Johann Freitag sowie der frühere Vikar der Gemeinde St. Gerhard, Pfarrer Klaus Röhrig.
„Jedes Paket wurde von der Stasi geöffnet“
Der Pastor erzählte von seiner Angst vor der Stasi: „Wir wussten, dass jedes Paket aus dem Westen vor der Zustellung geöffnet wurde. Wenn uns die Verwandten ein interessantes, politisches Buch zuschickten, kam das nicht an. Und genauso wussten wir, dass unsere Telefonate mitgehört wurden.“ Trotzdem fielen die Antworten auf die Frage einer Schülerin, wie sie heute ehemaligen „Spitzeln“ begegneten, sehr verschieden aus. So berichtete Regina Freitag, die 1989 am Ausbildungsseminar für katholische Erzieherinnen in Heiligenstadt unterrichtete: „Wir wollten in den ersten Jahren nach der Wende gar nicht wissen, wer uns observiert hat. Und als wir dann doch nach der Akte fragten, hieß es: Da läge gar keine vor. Offenbar war sie vernichtet worden. Und vielleicht ist das auch besser so.“
Hans Gerd Adler wiederum weiß von einem Nachbarn, dass der für die Stasi gearbeitet hatte: „Ich meide es bis heute, mit ihm zu sprechen. Wenn es ihm ein Anliegen wäre und er auf mich zukäme, würde ich das tun. Dafür bin ich Christ. Aber von mir aus – das gebe ich zu – bin ich dazu nicht in der Lage.“
Pfarrer Klaus Röhrig räumte zwar ein, dass manche zur Bespitzelung gezwungen wurden, dass die sich die meisten Mitarbeiter der Stasi aber für Geld oder bessere Karrierechancen gewinnen ließen: „Das ist eine Tatsache, die viele von ihnen bis heute verdrängen.“
Dass die Erfahrungen aus der DDR Menschen für immer geprägt haben, noch immer tief sitzen und an einem Tag wie dem 9. November wieder viele Erinnerungen und Emotionen wecken, war allen Zeitzeugen anzumerken.
„Mit diesen Texten mussten wir etwas machen“
Eduard Fiedler erinnerte sich noch an die Geburtsstunde der Friedensgebete in Heiligenstadt: „Meine Frau, die sich in der Caritas engagierte, brachte gesellschaftskritische Texte von einem Wochenende mit und meinte: Damit müssen wir hier auch arbeiten.“ Wenig später gründeten sich zu den verschiedenen Themen Arbeitsgruppen, die sich zumeist in kirchlichen oder privaten Räumen trafen. Mitte Oktober fand dann das erste Friedensgebet zu den „gesellschaftlichen Anliegen unserer Zeit“ statt.
In denselben Wochen feierte die Deutsche Demokratische Republik ihr 40-jähriges Bestehen: „Honecker hatte zu diesem Jahrestag einen solchen Unsinn geredet, dass es uns vorkam wie blanker Zynismus. Hier im Kloster haben wir stundenlang zusammengesessen und darüber gesprochen“, erinnerte sich Johann Freitag. Und er fügte hinzu: „Da habe ich tatsächlich geweint.“ Niemand habe geahnt, dass die Demonstrationen und der Protest danach so rasant entwickeln würden. Die 40-Jahr-Feier des Staates, den keiner mehr wollte, habe diesen Prozess vielleicht sogar beschleunigt, mutmaßt der ehemalige Lehrer.
Dabei sei der Protest in Heiligenstadt von vornherein gut organisiert und immer friedlich gewesen. Schwester Maria Magdalena Brüning, die heute in der Jugendpastoral des Marcel Callo-Hauses tätig ist, hatte zu dieser Zeit in Leinefelde ganz anders erlebt: „Da war es eher chaotisch. Die Räume und Höfe, in denen wir uns trafen, waren auf einmal überfüllt. Und wir zogen ganz spontan zu einem ersten Gebet in die Pfarrkirche. Aber auch dort war uns letztlich nichts passiert.“
„Die Ereignisse haben uns überrollt“
Auf die Frage eines Auszubildenden, ob es nicht besser gewesen sei, wenn sich beide deutschen Staaten – wie es das Grundgesetz vorgesehen habe – nach dem Mauerfall gemeinsam eine neue Verfassung gegeben hätten, antwortete Regine Freitag: „Wir wurden damals von den Ereignissen überrollt. Wir hatten gekämpft für Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und freie Wahlen. Das bekamen wir jetzt. Was wollten wir mehr?“ Und Hans-Gerd Adler erinnerte daran, dass die erste und letzte demokratisch gewählte Volkskammer der DDR dem „Beitritt“ zur Bundesrepublik zugestimmt habe: „Insofern entsprach dieser Schritt dem Willen des Volkes, auch wenn es anders vielleicht besser gewesen wäre.“
„Unsere derzeitigen Probleme sind der Preis für die Freiheit“
Schließlich wollte eine Schülerin wissen, ob es denn auch etwas Positives über die DDR zu berichten gäbe. Da antwortete Hans-Gerd Adler, der auch Gruppen durch das Grenzmuseum in Teistungen führt, nur zögerlich: „Mir fällt da nichts ein. Wir spürten ständig, dass uns etwas gefangen hielt.“ Selbst die viel gelobten Kinderkrippen seien der Notwenigkeit geschuldet gewesen, die Frauen in die Fabriken zu holen. „Denn bis Ende der 50er Jahre waren 3,2 Millionen Deutsche in den Westen geflüchtet. Diese Arbeitskräfte fehlten hier…“ Wohl bestätigte der Ingenieur, der damals für einen großen Staatsbetrieb gearbeitet hatte, dass es heute viel mehr Probleme gäbe: „Die hatten wir damals vielleicht nicht. Aber da waren wir auch eingesperrt. Die Probleme, die wir heute haben, sind der Preis für die Freiheit.“